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Eine Ortsumfahrung für Wacker

Lange war es ruhig um die Verlegung der S 88 in Nünchritz. Nun werden die Pläne konkreter.

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© Sebastian Schultz

Von Christoph Scharf

Nünchritz. Noch rollen täglich Tausende Fahrzeuge quer durch Nünchritz. Doch das soll sich in absehbarer Zeit ändern: Planer arbeiten längst daran, die Staatsstraße S 88 zu verlegen. Sie soll künftig nicht mehr direkt am Werksgelände von Wacker entlang führen, sondern einen großen Bogen um das Chemiewerk machen – und damit auch für andere Verkehrsströme im Ort sorgen (siehe Karte). Vor allem der Schwerlastverkehr durch Nünchritz soll sich damit verringern.

© Grafik/SZ

Das ist aber nur ein Aspekt, sagt Marco Henkel vom sächsischen Wirtschaftsministerium. „Ziel der Verlegung der S 88 östlich Nünchritz ist die Herausnahme des öffentlichen Verkehrs aus dem Betriebsbereich der Wacker Chemie AG“, sagt der Sprecher. Das soll bei einem möglichen Störfall im Chemiewerk die Sicherheit der Öffentlichkeit gewährleisten. Denn auch bei der jüngsten Übung hatte sich gezeigt, dass viele Autofahrer die für solche Fälle an der S 88 montierten schaltbaren Verbotsschilder ignorieren.

EU-Richtlinie fordert Abstand

An dieser Stelle kommt die sogenannte Seveso-III-Richtlinie ins Spiel: Das EU-Regelwerk ist nach einem Chemieunglück benannt, das sich 1976 in Italien ereignet hatte. Die Richtlinie fordert unter anderem, dass „zwischen Störfallbetrieben und Wohngebieten, öffentlichen Gebäuden und Gebieten, Erholungsgebieten und Hauptverkehrswegen ein angemessener Sicherheitsabstand gewährt bleibt“.

Die in Nünchritz geplante Verlegung der S 88 soll aber noch einen weiteren Effekt haben, teilt der Freistaat mit. Schließlich verläuft die Staatsstraße bislang in unmittelbarer Elbnähe. Die neue Trasse aber wäre nicht mehr hochwassergefährdet, damit sei die regelmäßige Befahrbarkeit gesichert. – Beim reinen Bau der Umfahrung soll es aber nicht bleiben, teilt die Planungsgesellschaft List mit, die vom Freistaat mit dem Projekt beauftragt wurde: „Im Ergebnis dessen wird eine großräumige Netzneuordnung für den überörtlichen Verkehr vorgesehen.“ Dem derzeitigen Planungsstand lässt sich schon entnehmen, dass die S 88 auch nördlich von Wacker nicht mehr durch Nünchritz geführt werden soll, sondern an Roda vorbei direkt hoch zur B 98.

Die eigentliche Neubautrasse soll nach bisherigem Stand in Leckwitz am Großteich von der bestehenden S 88 abzweigen und in einem Bogen über die Felder am Dorfring und an Weißig vorbei führen. Die Umfahrung wird die Bahnstrecke mit einer Brücke überqueren und schließlich an der S 40 am Abzweig nach Roda anbinden. Zusätzlich zu den beiden Anschlussstellen soll es auf halbem Weg nahe dem Chemiewerk noch einen dritten Knotenpunkt geben. Die landwirtschaftlich genutzten Flächen südlich der Bahnstrecke zwischen der geplanten Umfahrung und dem heutigen Wacker-Gelände sind ohnehin als „Vorranggebiet großflächige Industrieansiedlung“ ausgewiesen.

6 000 Fahrzeuge pro Tag

Die neue Trasse wird gebraucht – glaubt man den Vorhersagen. Die Verkehrsprognose geht davon aus, dass im Jahr 2025 (sollte bis dahin schon gebaut worden sein) täglich 6 000 Fahrzeuge die Strecke nutzen, jedes zehnte davon ein Lkw. Gleichzeitig würde der Verkehr durch Nünchritz um täglich 1 100 Fahrzeuge zurück gehen.

Bis dahin wird es aber noch etwas dauern: Bislang besteht nur eine Vorplanung, in der vier grundsätzliche Korridore untersucht wurden, die die Bahnstrecke Leipzig-Dresden über- oder unterqueren. Als Vorzugslösung wurde die Variante „31SÜ“ ausgewählt, die auch die abgebildete Karte zeigt. „Im Rahmen der Vorentwurfsplanung wird die genaue Linienführung untersucht, so dass sich zur Vorplanung Änderungen ergeben können“, teilt der Freistaat auf SZ-Anfrage mit. Im Frühjahr 2018 soll es mit der Erarbeitung des Vorentwurfes losgehen. Dabei sei die Straßenplanung in Einklang mit der Anlagensicherheit zu bringen. „Ziel ist das Vorliegen des genehmigungsfähigen Vorentwurfes Ende 2019“, so der Freistaat.

„Mehr Entwicklungsmöglichkeiten“

Ist die neue Fahrbahn fertig, wird die bisher bestehende S 88 am Werksgelände entlang dichtgemacht und verschwindet aus dem öffentlichen Straßennetz. Damit wird sich nicht nur der Werksverkehr, sondern auch der Durchgangsverkehr neu orientieren müssen – zur Freude der Anwohner. Für die Betroffenen der neuen Trasse soll es – wie vorgeschrieben – schalltechnische Untersuchungen geben, aus denen beispielsweise der Bau von Lärmschutzwänden resultieren könnte.

Im Wacker-Werk selbst begrüßt man die Pläne. „Die verkehrstechnische Anbindung würde verbessert und die Gemeinde Nünchritz vom Durchgangsverkehr entlastet“, sagt Sprecherin Asta Tehnzen-Heinrich. Denkbar wäre durch den Bau der Umfahrung dann auch eine Werkszufahrt im Nordosten. „Perspektivisch wäre das eine deutliche Verbesserung der Standortbedingungen und würde die Entwicklungsmöglichkeiten verbessern.“