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Eine Kämpferin für die Neustadt

Friederike Beier hat wesentlich zur Rettung des Viertels beigetragen. Jetzt ist diese ungewöhnliche Frau gestorben.

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© André Wirsig

Von Claudia Schade und Julia Vollmer

Sie hat das Nordbad gerettet, eines der ersten Mehrgenerationen-
projekte in Dresden begründet, war Kandidatin für das Amt des Oberbürgermeisters und in der Aids-Hilfe aktiv. Friederike Beier war
ein Wirbelwind. Zuletzt wurde es ruhiger um sie. Am vergangenen Sonntag ist sie mit 73 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben.

Im heutigen Amselhof in der Böhmischen Straße besetzte Friederike Beier 1987 eine Wohnung. Für einen Tag. Dann meldete sie sich ordentlich beim Vermieter an. Dass das Viertel abgerissen werden sollte, als die DDR ihrem Untergang entgegenging, weckte ihren Widerstand. Nach der Wende wurde die Neustadt zwischenzeitlich zum gesetzesfreien Raum. Häuser wurden besetzt, auf den Straßen regierte die Anarchie. „Wir waren damals beseelt von der Freiheit und Hoffnung, dem Gefühl, dass alles möglich ist“, sagte Friederike Beier im Rückblick, als sie vor drei Jahren aus der Neustadt wegzog. Dieses Gefühl der Aufmüpfigkeit hat sie an ihrer Neustadt geliebt, auch wenn sie später die Veränderungen des Viertels kritisch sah. Es wurde ihr zu ruhig. Sie sah sich als Pionierin, gefolgt seien die „Siedler“.

Aber 1989 war alles noch wilder. Da gründete sie mit anderen die mittlerweile wieder aufgelöste Interessengemeinschaft Äußere Neustadt. Ziel war es, das Viertel nach den eigenen Vorstellungen mitzugestalten. Die Initiative setzte sich ein für die behutsame Sanierung der Gründerzeithäuser, das Nordbad, für Kinderspielplätze und die Legalisierung von Schwarzmietern. Kein Haus wurde damals von der Stadt verkauft ohne das Okay der Interessengemeinschaft. Im Amselhof entstand das erste Mehrgenerationen-Wohnprojekt in der Neustadt. Dort hat die Ärztin mehrere Generationen aufwachsen sehen. Auch ihre drei Kinder und Enkelkinder haben dort gelebt.

Legendär waren ihre Fettbemmen, die sie vor dem Amselhof mehr als 20 Jahre lang zu jeder BRN verkaufte. In der Schwafelrunde, dem Zusammenschluss engagierter Neustädter, die sich vor allem um die BRN kümmern, war sie ebenfalls lange Jahre aktiv. Ihre Popularität gab ihr 2001 Rückenwind für eine Kandidatur zur Oberbürgermeisterin. Zugunsten von Ingolf Roßberg (FDP) zog sie dann aber im zweiten Wahlgang zurück. 2004 kehrte sie kurzzeitig in die Politik zurück. Sie war Mitbegründerin der Bürgerliste Dresden. Deren Ziel: mehr Bürgerbeteiligung. In den Stadtrat aber wollte Friederike Beier nicht. Ihr Feld waren Vermittlung und Ausgleich im direkten Gespräch. Besonders am
Herzen lagen ihr die weniger Gehörten, wie Punks oder Jugendliche, die wie sie selbst keine einfache Kindheit hatten. Im Sudetenland geboren, erlebte sie Flucht und Vertreibung. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt.

Als Ärztin engagierte sich Friederike Beier im Kampf gegen Aids. Sie leitete die Aids-Beratung im Gesundheitsamt und bekam für ihren Einsatz 2007 die Sächsische Ehrenmedaille. „Friederike hat sich mit viel Herz und Engagement für die Gruppen eingesetzt, die in der Gesellschaft nicht gut angesehen sind“, erinnert sich Christian Willno, Sprecher der Aids-Hilfe. Sie habe einen Wegweiser für Prostituierte mit Tipps und Ansprechpartnern herausgegeben, ein bundesweit wegweisendes Projekt. Außerdem habe sie die Anonymität von HIV-Infizierten bei der Beratung durchgesetzt, erinnert sich Willno.

Noch mit 67 Jahren betrieb Friederike Beier den Schmuckladen „Perlentraum“ in der Böhmischen Straße, ein Hobby, das sie zum späten Beruf machte. Ganz kürzertreten konnte sie auch im Rentenalter nicht. Zuletzt wollte sie sich bei der „Hans-Joachim-Maaz-Stiftung Beziehungskultur“ engagieren und dafür einsetzen, dass Menschen lernen, respektvoll miteinander umzugehen.

2014 zog Friederike Beier nach Seifersdorf nördlich von Dresden. Bewusst nahm sie Abschied von der Neustadt. In Seifersdorf fand sie Ruhe. Dort wird sie am 14. August beigesetzt. Sie hatte einmal auf die Frage, welchen Satz sie gerne in ihrer Grabrede hören würde, gesagt: „Das war’s; und wie es war, war es gut!“ Was will man mehr in einem Leben?