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Ein Schuhverkäufer im Paradies

Nach Wochen zwischen Hoffen und Enttäuschung hat Patrick Lenke endlich Arbeit. Ein Traum für den Autisten.

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© René Meinig

Von Henry Berndt

Dresden. Zielgerichtet steuert er auf die junge Dame zu und spricht sie an. Einfach so. Auf Englisch. „Silver stripes are not for male“ – „Silberstreifen sind nichts für Männer“, sagt er der jungen Chinesin, die im Sidestep in der Centrum Galerie auf der Suche nach Schuhen für ihren Freund ist. Patricks Körpersprache wirkt noch ein bisschen unsicher, aber wie er hier auftritt, mitten in der Öffentlichkeit, unter Druck, im Job, das wollten ihm bisher die wenigsten zutrauen.

Patrick Lenke ist seit einer schweren Erkrankung als Baby zu 90 Prozent behindert und hat dazu das Asperger-Syndrom. Seine einzige große Leidenschaft sind Schuhe, genauer gesagt Sportschuhe. Jede freie Minute beschäftigt sich der 24-Jährige mit den Marken und Modellen, hat sogar einen eigenen Blog. Trotz seines Fachwissens und seines unübersehbaren Ehrgeizes fand er lange Zeit kein Sportgeschäft, das ihn als Schuhverkäufer anstellen wollte. Dutzende Bewerbungen liefen ins Leere. Meist bekam er nicht einmal eine Antwort. Der Eintrag „Behindertenschule“ in seinem Lebenslauf schien für die hiesigen Läden genug der Information zu sein. Karstadt Sports ermöglichte ihm immerhin zwei Praktika und stellte ihm ein klasse Zeugnis aus. Doch danach saß er wieder zu Hause.

„Ich werde es allen zeigen“

Dort döse er den ganzen Tag in seinem Zimmer rum, spielte Computerspiele und konnte sich bald nicht mal mehr an seinen Sneakern erfreuen. Die unerträgliche Langeweile ließ ihn irgendwann in eine Depression abrutschen. Seine Eltern, bei denen er wohnt, schlugen Alarm. Seit dem Frühjahr begleitet die Sächsische Zeitung Patrick auf seinem Weg zwischen Hoffen und Enttäuschungen. Ein erster Artikel verbreitete sich über Facebook bundesweit in der kunterbunten Sneaker-Szene. Innerhalb weniger Tage erfuhr Patrick so viel Zuspruch wie zuvor in Jahren nicht. Gleich mehrere Läden zeigten Interesse an ihm. Eine Anstellung im neuen Snipes in der Altmarktgalerie schien schon sicher zu sein.

Doch auf den Traum folgte zunächst der Rückschlag. Die öffentliche Aufmerksamkeit und die Euphorie ebbten ab. Mit Snipes wurde nichts. Schließlich schleuste ihn ein junger Mann namens Marek Matthes erfolgreich in das Sidestep-Team der Centrum Galerie ein. Er war es, der den SZ-Beitrag auf Facebook sah und sofort Kontakt zu seiner Chefin und Patrick aufnahm. Die Chemie stimmte, also warum nicht?

Zunächst durfte Patrick nur an Samstagen arbeiten. In seinen Blog schrieb er nach dem ersten Tag: „Ich werde diesen Job jetzt nutzen, um allen zu zeigen, was ich kann. Ich will arbeiten.“ Im Laden, zwischen Regalen voller Sportschuhen, fühle er sich wie im Paradies. „Es war am Anfang richtig schlimm für mich, nach einem Dienst eine ganze Woche warten zu müssen.“

Niemanden überraschte, dass Patrick maximal motiviert war. Doch auch die nackten Zahlen stimmten. Der Neuankömmling machte von Anfang an außergewöhnlich gute Umsätze. Selbst an den Sale-Samstagen, an denen er oft von zehn Kunden umringt war, behielt er die Nerven und den Überblick. Auch im Lager findet er sich immer besser zurecht. Der Lohn: Seit Kurzem darf er nun schon an drei Tagen in der Woche arbeiten. Gerade wurde sein Vertrag bis zum April 2018 verlängert.

„Der Job ist der, den ich schon immer wollte“, sagt Patrick mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Besonders gern berate er Sneaker-Fans, denen er besondere oder limitierte Editionen vorstellen kann. „Meine Depressionen gehen etwas zurück, und ich bin wieder offener und glücklich.“ Auch seine Eltern seien froh, dass ihr Junge einen Ausweg aus seiner Lebenskrise gefunden habe. „Ich habe wieder etwas zu tun und bin nicht den ganzen Tag zu Hause.“ Patrick glaubt fest daran, dass er bald noch mehr Stunden arbeiten darf und so schnell nichts mehr mit dem Jobcenter zu tun haben muss. Er weiß, dass das nun in seinen Händen liegt.

„Der Zeitungsartikel hat einiges verändert“, sagt er. „Ich bin bekannt geworden, werde auf Messen eingeladen und habe sehr viele Personen kennengelernt, die ich sonst nicht getroffen hätte.“ Seinen Mentor Marek zum Beispiel. Er und all die anderen Kollegen im Sidestep hätten ihn fantastisch aufgenommen – und das Lob kommt umgehend zurück.

„Er macht das super“, sagt Marek. „Ich bereue es in keinster Weise, Patrick hier hergebracht zu haben.“ Er habe die Chance genutzt und es allen gezeigt. Und mit einem süffisanten Lächeln fügt Marek hinzu: „Wenn die anderen ihn nicht haben wollen – wir sind froh, ihn im Team zu haben.“