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Die Zweiklassen-Impfung

Drei- oder Vierfachschutz? Ärzte im Kreis sind verärgert, weil sie den höheren Grippeschutz extra begründen müssen.

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© Symbolfoto/dpa

Von Peter Redlich

Landkreis. Es ist – trotz der Sonnenstrahlen – schon wieder Nies- und Hustenzeit. Viele denken an Grippeschutz und machen sich auf zu ihrem Hausarzt. Dort bekommen sie als „normaler“ Patient eine sogenannte Dreifachimpfung. Eine Impfung mit dem Schutz gegen drei Virenstämme, die höchstwahrscheinlich diesen Winter Sachsen erreichen könnten.

Es gibt auch eine Vierfachimpfung. Die empfiehlt sogar die sächsische Impfkommission. Weil diese Impfung sogar gegen vier Virenstämme schützt. Doch diese Dosis ist teurer als die dreifache. Ärzte sollen sie nur an sogenannte Risikopatienten verabreichen. Der Hintergrund: Die Krankenkassen, in Sachsen federführend die AOK Plus, haben Rabattverträge mit den Herstellern der Impfstoffe abgeschlossen. Mit einem solchen Vertrag müssen Dreifachdosen in einer bestimmten Menge abgenommen werden. Der aktuelle Vertrag, das bestätigt AOK-Plus-Sprecherin Hannelore Strobel, reicht bis 2019.

Der Begriff Risikopatient ist in diesem Falle schwammig. Ein Teil der Ärzte ist verunsichert und verärgert. Kaum einer zwischen Meißen und Radebeul will darüber reden. In einer Coswiger Praxis sagt eine Schwester auf Nachfrage, dass es ja Listen gibt, wo draufsteht, welche Patienten Risikopatienten sind und die Vierfachimpfung bekommen dürfen, die dann auch die Krankenkasse bezahlt.

In der Praxis der Radebeuler Allgemeinmedizinerin Dr. Petra Biermann sagt Impfassistentin Anke Berger, dass sich die Ärzte untereinander beraten hätten und die Vierfachimpfung nur für chronisch kranke Patienten bereithalten. Jeder Arzt müsse das letztlich selbst entscheiden. „Wir haben die Drei- und die Vierfachimpfdosen in etwa gleichen Mengen eingekauft. Würden aber gerne mehr Patienten vierfach impfen, so wie es die Impfkommission in Sachsen empfiehlt“, sagt Anke Berger.

Auch Dr. Christian Wallmann in Moritzburg ist vorsichtig und leicht verunsichert: „Wir haben 500-mal dreifach und 100-mal vierfach geordert. Ich muss jetzt einschätzen, wer Risikopatient ist und auch das finanzielle Risiko tragen.“

Ein Hausarzt aus dem Raum Riesa beschreibt die komplizierte Prozedur: „Laut Experten ist der Vierer-Impfstoff besser als der Dreier-Impfstoff. Er kostet aber auch mehr. Die Kassen sagen aber im Regelfall, wir zahlen nur den Dreier, nicht den Vierer. Da geht es vor allem ums Geld, wie auch bei anderen Medikamenten.“ Bestimmte Patientengruppen sollten aber den Vierer-Impfstoff bekommen, so der Arzt. „Wenn in meiner Praxis ein Patient dafür infrage kommt, etwa ein Diabetiker oder ein Lungenkranker, stellen wir ihm ein Grünes Rezept aus. Das soll er bei seiner Kasse vorlegen und klären, ob die die Kosten übernimmt. Natürlich kann er die 23 Euro auch selbst zahlen. Andernfalls müsste ich die Differenz aus eigner Tasche zahlen – und das summiert sich. Wegen so etwas sind Praxen schon in die Insolvenz gegangen.“ Der Arzt betont, dass er die Patienten auch deshalb zur Kasse schicke, „damit die dort merken, dass die Leute den Vierer-Impfstoff wollen – damit sich endlich etwas ändert“.

Das heißt, wenn der Patient auf Vierfach besteht, muss er selbst zahlen und laufen. Zwischen 15 und 23 Euro werde derzeit eine Impfpackung mit Vierfach-Grippeschutz in den Apotheken angeboten. In der Adler-Apotheke an der Moritzburger Straße in Radebeul-West gibt es die Auskunft, dass der Patient dafür ein Rezept mitbringen muss und der Impfstoff innerhalb eines halben Tages beschafft werden kann. Er kostet 23 Euro je Dosis. In der Kristall-Apotheke in Radebeul-Ost ist es ähnlich – Vormittag bestellt, Nachmittag da, bezahlt werden müssen 23 Euro mit Rezept.

Knut Köhler, Pressesprecher der Landesärztekammer, verweist auf die im „Ärzteblatt Sachsen“ veröffentlichte Meinung. Dort empfiehlt die Sächsische Impfkommission „aufgrund der breiteren Stammabdeckung bei Influenza B die bevorzugte Anwendung von tetravalenten (vierfach Anm. d. Red.) Impfstoffen. Allerdings heißt es dann schon wieder einschränkend: „Für jede Zielgruppe sollte der am besten geeignete Impfstoff ausgewählt werden.“

AOK-Plus-Sprecherin Hannelore Strobel verteidigt die Rabattverträge und die Dreifachimpfung: „Wir alle haben was davon, wenn Beiträge der Krankenkassen nicht aus dem Ruder laufen.“ Sie verweist auf eine Pressemitteilung der AOK Plus unter der Überschrift „Stimmungsmache beim Impfthema“. Darin heißt es: Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut hat, wie auch die Impfkommissionen anderer europäischer Länder, bislang keine bevorzugte Verwendung von Vierfachimpfstoffen empfohlen. Die Gründe für die abweichende Empfehlung der Sächsischen Impfkommission, den Vierfachimpfstoff einzusetzen, sind bislang nicht transparent und auch deswegen einmalig, weil es in keinem anderen deutschen Bundesland überhaupt eine eigene Impfkommission gibt.

Wenn die Impfkommission auf Bundesebene allerdings für die nächste Impfsaison 2018/19 zu einer anderen Erkenntnis kommen würde, so Hannelore Strobel auf Nachfrage, dann müsste auch über die Rabattverträge nachgedacht werden. Zur Beruhigung der Ärzte betont die AOK-Plus-Sprecherin: „In der letzten Impfsaison bis zum Februar 2017 hat es keinen einzigen Prüfauftrag seitens der AOK gegeben.“ Und Patienten rät sie, wie auch ihr Chef Rainer Striebel, Vorstandsvorsitzender der AOK Plus: „Bei weit über 90 Prozent der Fälle kommt deutschlandweit der Dreifachimpfstoff zum Einsatz und bietet einen guten Schutz für die Versicherten. Der Fokus der Diskussion sollte darauf liegen, sich überhaupt impfen zu lassen.“