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Die Wende im Gustavheim

Noch vor einem Jahr prägte Misstrauen die Stimmung an der Pillnitzer Landstraße. Heute ist alles anders.

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© Norbert Millauer

Von Kay Haufe

Larbi ist extra früher aus der Schule gekommen. In Freital lernt der 33-jährige Marokkaner Deutsch und muss dafür zeitig aus dem Niederpoyritzer Gustavheim los. Nachmittags ist er nicht vor 15 Uhr wieder zurück. Aber zum Interview will er pünktlich sein. „Mir gefällt es hier. Die Leute am Elbhang sind freundlich. Ich komme mit allen gut aus“, sagt Larbi in gebrochenem Deutsch. Viel besser klappt die Verständigung allerdings noch in Französisch. Sozialarbeiterin Ingrid Blankenburg dolmetscht. Sie kennt den jungen Mann mit den schwarzen Locken und dunklen Augen, seit er im Juni 2014 aus Chemnitz ins Gustavheim kam. „Er ist schüchtern, hält sich viel in seinem Zimmer auf. Und er raucht und trinkt nicht, hält sein Geld penibel zusammen“, sagt die Betreuerin.

Sie schätzt ihn als zuverlässigen Helfer. Im Sommer habe er im Garten Hecken gepflanzt. Dabei ist Larbi genau das, was viele als Wirtschaftsflüchtling bezeichnen. Die Chance, dass er Bleiberecht in Deutschland bekommt, ist gering. „Aus meiner Heimat gibt es keine Bilder von blutigen Kriegen. Doch die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, und auf dem Land findest du gar nichts“, sagt er. Schon als Jugendlicher habe er hart auf dem Feld oder dem Bau arbeiten müssen. Eine Ausbildung hat er nicht. Nur 55 Prozent der Kinder werden auf dem Land überhaupt eingeschult, obwohl in Marokko Schulpflicht besteht. „Meine Familie hat mich auf die Straße geschickt und gefordert, dass ich einen Job finde. Es hat nicht funktioniert“, sagt Larbi. Über das Mittelmeer sei er zunächst nach Italien geflohen. Doch dort konnte er nirgendwo arbeiten. Über Umwege ist er in Dresden gelandet.

„Ich mache jede Arbeit, die ich bekomme“, sagt Larbi und schaut zu Ingrid Blankenburg hinüber. Zur Sozialarbeiterin hat er großes Vertrauen. Nicht nur, weil sie ihn vor allen Behördengängen berät. Als er letztes Jahr operiert werden musste, hat sie ihn im Krankenhaus besucht. „Darüber war er sehr überrascht und erfreut. Das kennen junge arabische Männer nicht“, sagt Ingrid Blankenburg. Dabei versucht sie, dass der Kontakt zu ihr nicht zu eng wird. Denn jeder Asylbewerber muss nach kurzer Zeit allein zurechtkommen.

Seit vergangener Woche ist Haus zwei des Gustavheimes auf der PIllnitzer Landstraße eine sogenannte Clearingstelle. In ihr kommen die Flüchtlinge aus Chemnitz an und bleiben meist nur vier Wochen. In dieser Zeit versuchen die Behörden herauszufinden, welcher Religion sie angehören, welche Staatsangehörigkeit sie haben, was der Grund der Flucht ist und ob sie in der Lage sind, gemeinsam mit anderen in Wohnungen selbstständig zu leben. Wer noch nicht so weit ist, bleibt weiterhin in einem Heim. Seit letzten Mittwoch gibt es viele neue Gesichter im Gustavheim. Die Neuankömmlinge stehen montags und mittwochs vor Blankenburgs Büro Schlange. In Russisch, Französisch und Englisch versucht die Sozialarbeiterin die Fragen der Männer und Frauen zu beantworten. Schwierig ist es mit vier jungen Somalierinnen, die nur ihre Landessprache verstehen. „Für sie würde ich mir Paten aus der Nachbarschaft wünschen“, sagt Blankenburg. Und ist zuversichtlich, dass es klappt. Denn seit einigen Monaten gebe es eine regelrechte Welle der Hilfsbereitschaft. Täglich erhält sie E-Mails, in denen Spenden angeboten werden oder Dresdner Zeit mit Asylbewerbern verbringen wollen. Ein Wachwitzer Familienkreis trifft sich regelmäßig mit den Flüchtlingsfamilien im Heim, gemeinsam unternehmen sie Ausflüge. „Die Stimmung in der Nachbarschaft ist völlig anders als noch vor einem Jahr“, sagt Blankenburg und wirkt glücklich. Damals standen Einbrüche im Raum, die mit Bewohnern des Heimes verbunden wurden. Misstrauen wurde geschürt, weil Anwohner nicht ins Heim gelassen wurden. Auch Blankenburg selbst wollte keine Öffentlichkeit. „Heute haben die Flüchtlinge für mich ein Gesicht. Wir kommunizieren viel“, sagt Anwohnerin Karina Rabe.

Larbi absolviert derzeit ein Praktikum in einer türkischen Bäckerei in Dresden. Die Arbeit macht ihm Spaß. „Und ich muss den ganzen Tag Deutsch sprechen“, sagt er lächelnd. Sein Geld mit Brotbacken zu verdienen, könnte er sich gut vorstellen. „Zeitiges Aufstehen stört mich nicht.“