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Die Tragik der Familie Kohl

Nach seinem Tod wird Helmut Kohl als großer Staatsmann geehrt. Die Versöhnung mit seinen Söhnen schaffte er nicht.

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Von Christiane Jacke, Oggersheim

Walter Kohl erfuhr aus dem Radio vom Tod seines Vaters. Jahrelang hatte er keinen Kontakt zu dem Mann, der international als „großer Staatsmann“ und „großer Europäer“ gewürdigt wird. Für Walter Kohl war der Vater Helmut nicht der Held der Wiedervereinigung, nicht der Wegbereiter der Europäischen Union, sondern eine Enttäuschung – einer, der nicht da war, der sich nicht kümmerte, der den Kontakt abbrach. Im Sommer 2011 habe er das letzte Mal mit seinem Vater telefoniert, danach habe er ihn nicht mehr besuchen dürfen, erzählt Walter Kohl. Erst jetzt betritt er sein Elternhaus wieder. Erst jetzt, da es den Vater nicht mehr gibt.

Blumen und Kerzen vor dem Wohnhaus von Helmut Kohl.
Blumen und Kerzen vor dem Wohnhaus von Helmut Kohl. © dpa
Kohls Familienidylle, aber nur für die Öffentlichkeit.
Kohls Familienidylle, aber nur für die Öffentlichkeit. © picture alliance / dpa

Stationen im Leben von Helmut Kohl

Helmut Kohl [l] noch im Schatten von Bundeskanzler Konrad Adenauer am 1.5.1967 in Bonn.
Helmut Kohl [l] noch im Schatten von Bundeskanzler Konrad Adenauer am 1.5.1967 in Bonn.
24. CDU Parteitag vom 24.-26. Mai 1976 in Hannover: der CDU Vorsitzende Helmut Kohl (r) und Kurt Biedenkopf.
24. CDU Parteitag vom 24.-26. Mai 1976 in Hannover: der CDU Vorsitzende Helmut Kohl (r) und Kurt Biedenkopf.
Das Archivbild vom 4.10.1982 zeigt Bundeskanzler Helmut Kohl [r] und seinen Vorgänger Helmut Schmidt auf dem Weg zum Kanzleramt zur Amtsübergabe.
Das Archivbild vom 4.10.1982 zeigt Bundeskanzler Helmut Kohl [r] und seinen Vorgänger Helmut Schmidt auf dem Weg zum Kanzleramt zur Amtsübergabe.
Das Archivbild vom 1.10.1982 zeigt den damaligen CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl bei seiner Vereidigung zum Bundeskanzler im Bundestag mit Bundestagspräsident Richard Stücklen [vorn, Person im Hintergrund nicht identifiziert]. Durch das Mißtrauensvotum gegen den damaligen Amtsinhaber Helmut Schmidt [SPD] war Kohl mit 256 von 495 abgegebenen Stimmen zum ersten Mal zum Bundeskanzler gewählt worden. dpa COLOR [zu dpa-Themenpaket "Wahlen/Bundestag", dpa-Korr-Bericht "Bisher nur zwei Machtwechsel auf Bundesebene" vom 17.8.1998]  Foto:  / Kostenfrei /
Das Archivbild vom 1.10.1982 zeigt den damaligen CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl bei seiner Vereidigung zum Bundeskanzler im Bundestag mit Bundestagspräsident Richard Stücklen [vorn, Person im Hintergrund nicht identifiziert]. Durch das Mißtrauensvotum gegen den damaligen Amtsinhaber Helmut Schmidt [SPD] war Kohl mit 256 von 495 abgegebenen Stimmen zum ersten Mal zum Bundeskanzler gewählt worden. dpa COLOR [zu dpa-Themenpaket "Wahlen/Bundestag", dpa-Korr-Bericht "Bisher nur zwei Machtwechsel auf Bundesebene" vom 17.8.1998] Foto: / Kostenfrei /
Das Archivbild vom 01.10.1982 zeigt den gestürzten Bundeskanzler Helmut Schmidt [r, SPD], der seinem Nachfolger Helmut Kohl [M,CDU] zu dessen Wahl gratuliert.
Das Archivbild vom 01.10.1982 zeigt den gestürzten Bundeskanzler Helmut Schmidt [r, SPD], der seinem Nachfolger Helmut Kohl [M,CDU] zu dessen Wahl gratuliert.
Die Kombo zeigt den vierten deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt [l., Archivbild vom Juli 1977] und seinen Nachfolger, Helmut Kohl.
Die Kombo zeigt den vierten deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt [l., Archivbild vom Juli 1977] und seinen Nachfolger, Helmut Kohl.
Historische Geste: Der französische Staatspräsident Francois Mitterrand [l] und Bundeskanzler Helmut Kohl reichen sich am 22.9.1984 über den Gräbern von Verdun die Hand.
Historische Geste: Der französische Staatspräsident Francois Mitterrand [l] und Bundeskanzler Helmut Kohl reichen sich am 22.9.1984 über den Gräbern von Verdun die Hand.
Bundeskanzler Helmut Kohl am 05.09.1990 von Massen umringt bei einer Wahlkampfveranstaltung in Heiligenstadt in Thüringen.
Bundeskanzler Helmut Kohl am 05.09.1990 von Massen umringt bei einer Wahlkampfveranstaltung in Heiligenstadt in Thüringen.
US-Präsident Ronald Reagan während seiner Rede vor der Berliner Mauer am Brandenburger Tor am 12.06.1987
US-Präsident Ronald Reagan während seiner Rede vor der Berliner Mauer am Brandenburger Tor am 12.06.1987
Der Staatsratvorsitzende und SED-Generalsekretär Erich Honecker (r) wird von Bundeskanzler Helmut Kohl (l) vor dem Bonner Bundeskanzleramt in einer offiziellen Begrüßung mit militärischem Zeremoniell empfangen.
Der Staatsratvorsitzende und SED-Generalsekretär Erich Honecker (r) wird von Bundeskanzler Helmut Kohl (l) vor dem Bonner Bundeskanzleramt in einer offiziellen Begrüßung mit militärischem Zeremoniell empfangen.
Kohl-Besuch in Dresden im Dezember 1989: Helmut Kohl winkt und Hans Modrow schaut zu.
Kohl-Besuch in Dresden im Dezember 1989: Helmut Kohl winkt und Hans Modrow schaut zu.
Bundeskanzler Helmut Kohl neben Wolfgang Berghofer, Oberbürgermeister von Dresden, anlässlich eines Treffens in Dresden im Jahr 1989
Bundeskanzler Helmut Kohl neben Wolfgang Berghofer, Oberbürgermeister von Dresden, anlässlich eines Treffens in Dresden im Jahr 1989
Helmut Kohl (l) im Gepräch mit Michail Gorbatschow im Juli 1990.
Helmut Kohl (l) im Gepräch mit Michail Gorbatschow im Juli 1990.
Bundeskanzler Helmut Kohl (r), der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow (M) und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (l) unterhalten sich am 15.07.1990 in entspannter Atmosphäre an einem rustikalen Arbeitstisch in der freien russischen Natur, während die anderen Gäste unter anderem Raissa Gorbatschowa (M hinten) und Eduard Schewardnadse amüsiert die Szene betrachten.
Bundeskanzler Helmut Kohl (r), der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow (M) und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (l) unterhalten sich am 15.07.1990 in entspannter Atmosphäre an einem rustikalen Arbeitstisch in der freien russischen Natur, während die anderen Gäste unter anderem Raissa Gorbatschowa (M hinten) und Eduard Schewardnadse amüsiert die Szene betrachten.
Wiedervereinigung: Bundeskanzler Helmut Kohl [2.v.r.] winkt am 3.10.1990 zum Geläut der Freiheitsglocke von der Freitreppe des Berliner Reichstages.
Wiedervereinigung: Bundeskanzler Helmut Kohl [2.v.r.] winkt am 3.10.1990 zum Geläut der Freiheitsglocke von der Freitreppe des Berliner Reichstages.
Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (r) und Bundeskanzler Helmut Kohl im September 1994 auf einer Pressekonferenz in Bonn.
Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (r) und Bundeskanzler Helmut Kohl im September 1994 auf einer Pressekonferenz in Bonn.
Bundeskanzler Helmut Kohl[l] und US-Präsident Bill Clintonim März 1996 vor einem Meer deutscher und amerikanischer Fahnen in Milwaukee.
Bundeskanzler Helmut Kohl[l] und US-Präsident Bill Clintonim März 1996 vor einem Meer deutscher und amerikanischer Fahnen in Milwaukee.
Bundeskanzler Helmut Kohl und seine Frau Hannelore im Sommer 1998 auf der Jausenstation Holzingerbauer bei St. Gilgen am Wolfgangsee.
Bundeskanzler Helmut Kohl und seine Frau Hannelore im Sommer 1998 auf der Jausenstation Holzingerbauer bei St. Gilgen am Wolfgangsee.
Vladimir Putin empfing Helmut Kohl  2001 im Kreml.
Vladimir Putin empfing Helmut Kohl 2001 im Kreml.
Angela Merkel und Helmut Kohl bei der Damen-Fußball-WM  2011 in Frankfurt.
Angela Merkel und Helmut Kohl bei der Damen-Fußball-WM 2011 in Frankfurt.
25 Jahre nach seiner ersten Rede in Dresden vor der Ruine der Frauenkirche besucht der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl im Dezember 2014.
25 Jahre nach seiner ersten Rede in Dresden vor der Ruine der Frauenkirche besucht der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl im Dezember 2014.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban (l) besucht am 19.04.2016 in Oggersheim bei Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl  in dessen Privathaus.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban (l) besucht am 19.04.2016 in Oggersheim bei Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl in dessen Privathaus.

Als der 53-Jährige am Freitagabend in Ludwigshafen-Oggersheim ankommt, muss er erst länger mit der Polizei diskutieren, bis er zu dem Haus durchkommt. Walter Kohl beklagt sich, es sei schlimm, wenn ein Kind nicht zu seinem toten Vater dürfe. Die Tür zum Hause Kohl öffnet schließlich der frühere Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Als Walter Kohl später wieder aus dem Haus kommt, wirkt er aufgewühlt, auf leise Art. Den vielen Mikrofonen vor der Tür weicht er nicht aus, sondern lässt die Öffentlichkeit teilhaben an beklemmenden Details aus dem Innersten der Familie Kohl, einmal mehr.

Tieftraurig und resigniert

„Sie sehen einen Menschen, der eben sehr traurig ist“, sagt Walter Kohl da. „Mein Vater hat ja allen Kontakt abgebrochen zu vielen Menschen in seinem Umfeld.“ Das gelte für ihn und seinen jüngeren Bruder Peter. Aber auch seine Enkel habe Helmut Kohl nicht sehen wollen. Die Kinder hätten sehr darunter gelitten, „dass ihr Großvater für sie nicht erreichbar war“.

Wie sehr er selbst als Kind gelitten hat, darüber hat Walter Kohl schon viel Auskunft geben, unter anderem in einem Buch mit dem Titel „Leben oder gelebt werden“. Darin seziert er schonungslos das Leben im Hause Kohl, erzählt von Kälte und Distanz. Er beschreibt den Vater als einen, der alles für die Politik gab und für den die Familie nicht mehr war als Teil des politischen Bühnenbildes. Und: Walter Kohl schildert, wie er vom Tod seiner Mutter Hannelore erfuhr. Ein Anruf, die Worte: „Walter, deine Mutter ist tot.“ Die Stimme am Telefon gehörte nicht seinem Vater, sondern dessen Büroleiterin.

2001 war das. Hannelore Kohl nahm sich damals das Leben. Sie starb an einer Überdosis Schlaftabletten, daheim in Oggersheim, während Helmut Kohl in Berlin war. Jahrelang war sie krank, litt unter einer Lichtallergie, musste im Dunkeln leben. 41 Jahre lang war sie mit Helmut Kohl verheiratet. Und auch von ihr gibt es eine Biografie, die einiges Düstere aus ihrem frühen Leben und dem späteren als Kanzlergattin offenbart – und manche Spannung mit ihrem Mann.

Sieben Jahre nach dem Tod von Hannelore heiratete Helmut Kohl wieder: Maike Richter. Eine Volkswirtin, die als Redenschreiberin im Kanzleramt gearbeitet und Kohl dort in den 90er-Jahren kennengelernt hatte. Die beiden gaben sich 2008 das Ja-Wort – in der Kapelle eines Reha-Zentrums. Helmut Kohl war vorher schwer gestürzt und hatte ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Seitdem saß er im Rollstuhl und konnte nur noch schwer sprechen. Der neuen Frau an seiner Seite wurde von vielen Seiten vorgeworfen, sie habe immer schon an den 34 Jahre älteren Kohl herankommen wollen, habe ihn systematisch abgeschottet, alle Fäden selbst in die Hand genommen und dafür gesorgt, dass er alte Bünde kappt – zu seinen Söhnen, zu alten Vertrauten wie seinem Fahrer „Ecki“ Seeberg. Von der zweiten Hochzeit erfuhren die Söhne Walter und Peter damals nur durch ein Telegramm, die Details aus der Bild-Zeitung. Draußen vor dem Haus in Oggersheim, am Todestag seines Vaters, sagt Walter Kohl noch, er wolle zu den früheren Zeiten in diesem Moment nicht viel sagen. Er könne nur seiner Trauer Ausdruck verleihen, dass sein Vater jetzt gestorben sei „und dass das alles in dieser Weise passiert ist“. Und dann diese tieftraurigen Sätze, ernüchtert, resigniert: „Ich finde es schade, wenn man nicht in der Lage ist, die Dinge in diesem Leben zu regeln. Ich habe das versucht, über verschiedene Kanäle, ohne großes Glück“, sagt Walter Kohl. „Und jetzt ist es so, wie es ist.“ (dpa)