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Die letzten ihrer Art

Viele sächsische Obstsorten sind ausgestorben – Sachsen und Tschechen gehen jetzt gemeinsam auf die Suche.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Carina Brestrich und Susanne Sodan

Sächsische Schweiz. Was für eine Idylle: Friedlich weiden die Schafe auf der Wiese, die Blätter der Apfelbäume spenden ihnen Schatten. Vor einigen Jahren sah die Streuobstwiese in Weißig noch ganz anders aus. Verwildert, teilweise als Müllkippe missbraucht, kümmerte sich keiner um die Fläche, die hinter der Kelterei Hermann liegt. Inzwischen ist das anders. Die Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt hat die Wiese gekauft. Dank Fördermitteln ist sie wieder in Ordnung gebracht worden. Ein Pächter und seine Schafe kümmern sich darum, dass das so bleibt. Und nicht nur das: Aus dem Dornröschenschlaf erweckt, soll die Streuobstwiese nun zu einer Art Arche Noah für seltene, fast ausgestorbene Obstsorten werden.

Grüne Hoyerswerda, Schöner Herrnhuter, Gelbe Sächsische Renette – so heißen die Obstsorten, die einst geschätzt, aber zusammen mit vielen anderen in der Versenkung verschwunden sind, meist aus wirtschaftlichen Gründen: Zu klein, nicht lange lagerbar, wenig einträglich. Sie nun wieder aufzuspüren und zu erhalten, das haben sich drei sächsische und tschechische Partner zum Ziel gemacht: die Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt, die Liberecer Einrichtung Venkowsky Prostor und das Internationale Begegnungszentrum St. Marienthal in Ostritz in der Oberlausitz. Innerhalb der nächsten drei Jahre wollen sie fünf neue Obstgärten aufbauen: neben Freital auch einen in Ostritz, einen im Vogtland und zwei auf tschechischer Seite, in den ehemaligen deutsch-sprachigen Gebieten. Insgesamt 500 neue Bäume von bis zu 200 historischen Sorten sollen gepflanzt werden: Äpfel, Pflaumen, Birnen und Kirschen.

Doch vergessene Obstsorten überhaupt noch zu finden, ist keine leichte Sache. Denn Sammler und Kenner sind rar. Was hilft, sind Kontakte zu Verbänden und Vereinen. Auch einige wenige Baumschulen haben sich auf historische Sorten spezialisiert. „Teilweise sind wir einfach draußen unterwegs, halten Ausschau nach interessanten Bäumen“, erklärt Katrin Weiner von der Landesstiftung. Dass die Mühe nicht vergebens ist, zeigt ein Erfolg der Oberlausitz-Stiftung, die sich auf das Suchen alter Obstsorten spezialisiert hat. In einem privaten Garten bei Löbau entdeckten die Experten voriges Jahr die verschollen geglaubte Elbersdorfer Butterbirne.

Alte Sorte im Garten?

Überhaupt sind die Naturschützer auf die Hilfe privater Baumbesitzer angewiesen. Um sie anzusprechen, sind von der Landesstiftung und ihren Partnern etwa 40 Veranstaltungen angedacht. Auf dem Plan stehen zum Beispiel Baumschnittkurse und Obstbestimmungs-Seminare. Davon sollen beide Seiten profitieren: Wer einen alten Obstbaum in seinem Garten hat, oder sich nicht über die Sorte sicher ist, kann sich beraten lassen – und die Experten können vielleicht die ein oder andere Entdeckung machen. Ihre Erkenntnisse wollen sie auch in digitaler Form festhalten. So schwebt den Projektpartnern eine Internetplattform vor, auf der zu sehen ist, wo alte Sorten wachsen.

Für die bereits wiedergefundenen Sorten steht dieser Tage schon der nächste Schritt an – die Veredlung in einer Löbauer Baumschule. Dort stehen auch einige Bäume, die später zu den Bäumen in Weißig gepflanzt werden sollen. Im Herbst aber sollen zunächst erst mal die Kronen der Altbäume gestutzt werden. Außerdem sucht die Landesstiftung nach einem Kooperationspartner für die Nutzung des Weißiger Streuobstes. „Das kann zum Beispiel eine Schule oder eine andere Institution sein, die sich im Bereich engagieren will“, sagt Stiftungssprecherin Andrea Gößl.

Die Gesamtkosten für das Projekt liegen bei über einer halben Million Euro, zu 85 Prozent gefördert durch die EU. Der Aufwand vor Ort bleibt. Wozu das alles? Alte Obstsorten zu erhalten, sei aus mehreren Gründen wichtig, sagt Michael Schlitt vom Internationalen Begegnungszentrum St. Marienthal. „Das Klima ändert sich. Aber die genaue Entwicklung kann niemand vorhersagen.“ Auch nicht, mit welchen Krankheiten oder Schädlingen die hiesigen Bäume vielleicht eines Tages umgehen müssen. Deshalb sei es sinnvoll, möglichst viele verschiedene Obstsorten anzubauen. Je breiter das Spektrum, desto eher habe man auch die Sorten in petto, die schwierige Bedingungen aushalten können. Und: „Viele wollen heute auch nicht mehr das allgemeine Geschmackseinerlei.“