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Die ganze Welt auf dem Arm

In digitalen Zeiten erlebt der analoge Globus eine Renaissance, weil ihn die Macher aus Markranstädt zum Designobjekt auserkoren haben und ihn sprechen lassen können.

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© Thomas Kretschel

Von Ines Mallek-Klein

Suchend gleitet der Blick von Thomas Härtel über den Globus. Da, er hat ihn entdeckt, den Aralsee. Ein blauer Fleck markiert den Salzsee in Zentralasien. „So sieht er längst nicht mehr aus“, sagt Thomas Härtel. Der See hat seit 1960 viel Wasser und damit Fläche verloren. Von dem einst viertgrößten Binnensee der Erde sind heute nicht mehr als ein paar Wasserflächen übrig. Doch die lassen sich auf der Weltkugel weit weniger eindrucksvoll darstellen.

Die zwölf Teile der Welt werden sorgsam mit Leim bestrichen und dann geklebt.
Die zwölf Teile der Welt werden sorgsam mit Leim bestrichen und dann geklebt. © Thomas Kretschel
Da ist Augenmaß gefragt. Die Segmente überlappen sich maximal einen Millimeter.
Da ist Augenmaß gefragt. Die Segmente überlappen sich maximal einen Millimeter. © Thomas Kretschel
Dänische Designer haben die Linie Atmosphere Design entworfen.
Dänische Designer haben die Linie Atmosphere Design entworfen. © Räthgloben

Die Welt ist im Wandel. Der Aralsee verliert an Fläche, und in Grönland schmilzt das Eis. Weit dynamischer aber sind die politischen Prozesse. Thomas Härtel dreht an der Kugel und landet mit dem Finger auf der Krim. Wem gehört die Landzunge im Schwarzen Meer? Russland hat sie annektiert, doch Deutschland erkennt die Annexion nicht an. „Wir produzieren unsere Globen in erster Linie für den deutschen Markt und haben uns auf politischen Globen dazu entschlossen, die Krim weder der Ukraine noch Russland zuzuordnen. Sie hat eine neutrale Farbe“, sagt Thomas Härtel.

Er leitet seit 2008 die Produktion und den Vertrieb der Räthgloben Verlags GmbH in Markranstädt. Das Unternehmen wurde 1917 gegründet, feiert also in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen. „Aller Voraussicht nach tun wir das mit einer Sonderedition von 100 Globen“, so Thomas Härtel. Das Unternehmen, hervorgegangen aus einem Vertrieb von Lehr- und Schulmitteln, hat gute, aber auch schlechte Zeiten erlebt. Sich am Markt zu behaupten, ist eine Herausforderung, die nicht immer gelang. Nach der Wende von einem Hamburger Unternehmer übernommen, musste Räthgloben 1999 Insolvenz anmelden. Die Fertigung der Globen in reiner Handarbeit war schlichtweg zu teuer geworden.

Die Geschichte von Räthgloben

Paul Räth, der Firmengründer, war ein Mann, der sehr genau wusste, dass Bildung sehr viel mit Bildern zu tun hat. Das Bild der Erde als Kugel steht am Anfang der modernen Weltanschauung.

Zwei Globen aus der Werkstatt von Paul Räth werden heute als erstrangige Exponate in Museen gezeigt: Der möglicherweise erste Leuchtglobus mit elektrischem Licht von 1921 wird im Globenmuseum der Wiener Nationalbibliothek ausgestellt. Ein Erdglobus von 64 cm Durchmesser, mit handmodelliertem Oberflächenrelief, einst für Luxusliner des Norddeutschen Lloyd hergestellt, ziert seit 1925 die Sammlung des Deutschen Museums in München.

Seit 1999 gehört der Räthgloben 1917 Verlag mehrheitlich zur italienischen Firmengruppe Tecnodidattica S.p.A., die in Genua und Florenz Globen in Großserien produziert. Handkaschierte Globen, in präziser Handwerksarbeit gefertigt, rechtfertigen nach wie vor das Prädikat „Qualität aus Leipzig“.

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Doch das Unternehmen fand mit der Firmengruppe Tecnodidattica mit Hauptsitz in Genua einen Investor. Die Italiener kennen sich aus mit der Welt im Kleinformat. Sie produzieren seit vielen Jahren ebenfalls Globen, allerdings in Großserie, im Tiefziehverfahrren. Mit dem Kauf von Räthgloben bauten sie ihr Produktangebot aus. Denn Räthgloben kaschiert die Globen per Hand. Zwölf Segmente, die vom Nord- bis zum Südpol reichen, gilt es auf einer Plastik- oder Glaskugel in knapp einer Stunde aneinanderzukleben. „Unsere Mitarbeiter brauchen ein sehr gutes Auge und eine ruhige Hand“, sagt Thomas Härtel. Dauert der Kaschierprozess zu lange, drohen die Kartensegmente wieder auszutrocknen, oder die Farben verändern sich. Die Segmente dürfen sich nur ganz minimal überlappen. Alles andere würde, vor allem bei den beleuchteten Globen, sehr unschön aussehen.

Maßarbeit, die ihren Preis hat. Ab 179 Euro gibt es die handkaschierten Globen in einer Standardgröße von knapp 30 Zentimetern. Einzelanfertigungen mit bis zu 128 Zentimetern Durchmesser gibt es auf Kunden-wunsch auch. Wer sich die Welt so groß ins Wohnzimmer, Büro oder die Hotellobby holen möchte, muss allerdings einen mindestens vierstelligen Betrag investieren.

„Wir sind ein Nischenprodukt,und wir werden immer ein Nischenprodukt bleiben“, sagt Thomas Härtel. Früher galt ein Globus als Statussymbol im Haushalt. Heute drohen Smartphones und Tablets die rotierende Weltkarte zu ersetzen. „Aber auch die sind eben nicht rund, und wer einen echten Eindruck von Größenverhältnissen und Distanzen bekommen will, muss auf den Globus schauen“, sagt Thomas Härtel. Das tun offenbar wieder mehr Leute. 2016 wurden rund 30 000 Globen hergestellt, ein Großteil auch maschinell, und verkauft.

Räthgloben teilt sich den deutschen Markt mit dem Columbus-Verlag in Berlin. Beide Unternehmen sind auf der Suche nach dem Besonderen. Columbus kooperiert mit Swarowski und markiert die Hauptstädte mit kleinen Kristallen. Räthgloben will den Globus zu einem stylischen Wohnaccessoire machen. Atmosphere Design heißt die mit dänischen Gestaltern entworfene Linie. Modern und vielseitig. Wahlweise in dezentem Weiß, Gold oder Kupfer, aber auch in strahlendem Rot und leuchtendem Pink gibt es die Globen zu kaufen, auf Wunsch auch beleuchtet.

Die Markranstädter gelten als Erfinder des Leuchtglobus. 1921 lieferten sie die erste Glaskugel, die im Inneren von einer Glühbirne beleuchtet wurde, aus. Nach dem Verbot der herkömmlichen Glühbirne hatte der Verlag ein Problem. Man setzte vorübergehend auf Halogenleuchten. Die sparten kaum Strom, hatten aber eine vergleichsweise kurze Lebensdauer. Seit vorigem Jahr verbaut Räthgloben stromsparende LEDs in den Globen.

Die Weltkugeln haben durchaus eine lange Lebensdauer, wie Thomas Härtel und seine vier Kollegen immer wieder erfahren. Mehrfach im Jahr melden sich Globusbesitzer, die ihre kleine Welt aufhübschen lassen wollen, denn die Zeit lässt die Farben verblassen, und manchmal löst sich auch der Leim. „Wir reparieren, was wir können. In unserem Fundus gibt es noch einige Kartensegmente von früheren Globusserien“, so Härtel.

Er selbst ist Industriekaufmann, hat dann Italienisch und Spanisch studiert. Die Sprache war es auch, die den 43-Jährigen 2008 zu Räthgloben brachte. Der Verlag suchte in einer Stellenanzeige nach einem Mitarbeiter, der gut genug Englisch kann, um mit den italienischen Firmeneigentümern verhandeln zu können. „Warum nicht gleich auf Italienisch“, sagte sich Thomas Härtel. Er wurde eingestellt und war fortan der Chef in Markranstädt. Das Unternehmen sitzt hier im Handwerkerhof, einer eher unscheinbaren Aneinanderreihung von Flachbauten. Funktionalität ist das oberste Gebot. Die Manufaktur ist hell, die Mitarbeiter arbeiten direkt am Fenster, um so viel Tageslicht zu nutzen wie möglich. Dahinter ist eine riesige Lagerhalle, in der sich die würfelförmigen Kartons mit den Globen türmen. Sie sind leicht, aber produzieren jede Menge Volumen. Das macht die Fracht teuer und ist wohl auch ein Grund, warum sich bis dato noch kein asiatischer Produzent auf dem deutschen Markt so richtig durchsetzen konnte. Asien ist übrigens auch der Kontinent, den Thomas Härtel schon mehrfach bereist hat. Ansonsten ist er ein bekennender Italienfreund und liebt die Regionen in Europa, die sich bequem mit dem Auto erreichen lassen.

Die restliche Welt erobert er mit dem Finger auf dem Globus und bald auch mit Ting Stift. Der Globus wird interaktiv. Berührt der Stift ein Land, nennt er Name, Einwohnerzahl, Größe und aktuelle Währung. Die Nutzer können zudem zwischen acht verschiedenen Menüs wählen und sich so auch über die Geschichte des jeweiligen Landes, seine politische Entwicklung oder die wichtigsten Wirtschaftszweige informieren lassen. Der sprechende Globus ist die Neuentwicklung aus dem Hause Räthgloben, die in wenigen Tagen auf der Buchmesse in Leipzig präsentiert werden soll. Auf der Spielzeugmesse in Nürnberg war man schon erfolgreich. Zielgruppe sind Kinder und Schüler, sagt Torsten Härtel. Mit dem Ting Stift wird der analoge Globus digital. Eines aber bleibt er: rund.