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Deutschlands Nachbarn sind sauer

Nach dem Maut-Kompromiss planen die Niederlande eine Klage. Belgien, Österreich und Dänemark schließen sich wohl an.

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© Zeichnung: Harm Bengen

Von Detlef Drewes, SZ-Korrespondent in Brüssel

Der Ärger ist groß. Am Tag eins nach dem Durchbruch für die deutsche Pkw-Maut war vor allem eines abzusehen: Die Nachbarn der Bundesrepublik machen mobil. Das Ziel ist eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, die die Einführung der Straßengebühr zumindest verzögern, wenn nicht gar stoppen könnte. „Besorgniserregend“ seien die Pläne von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), erklärte seine niederländische Amtskollegin Melanie Schultz van Haegen. „Diese Sorgen können nur ausgeräumt werden, wenn die Maut nicht eingeführt wird.“

Österreich, Belgien und Dänemark dürften sich dem Widerstand wohl anschließen. „Die Diskriminierung von Ausländern wird nicht beseitigt, wenn man alle deutschen Autobesitzer von den Kosten befreit, nur eben einige noch ein bisschen mehr“, hieß es in Wien. Denn genau das plant Dobrindt: Deutschen Autobesitzern wird über einen Nachlass bei der Kfz-Steuer erstattet, was die Abgabe kostet. Wer ein sauberes Fahrzeug mit Euro-VI-Norm fährt, erhält sogar noch mehr Rabatt. Das eigentliche Aufkommen zahlen die ausländischen Nachbarn, die für eine Zehn-Tages-Vignette zwischen 2,50 und 20 Euro bezahlen sollen – je nach Schadstoffklasse ihres Wagens. Dem hatte die Kommission am Donnerstag zugestimmt. Nun wächst die Kritik an EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc. „Wir wollen wissen, warum die Kommissarin plötzlich umgefallen ist“, erklärten Abgeordnete des österreichischen Parlamentes.

Warum fällt die EU-Kommission um?

Mit dieser Verwunderung stehen die Volksvertreter aus der Alpenrepublik nicht alleine da. Auch in Belgien zeigte man sich „sehr erstaunt über den Meinungsumschwung der Europäischen Kommission“, betonten Regierungskreise. „Die Maut wird definitiv allein von den ausländischen Autofahrern bezahlt“, hieß es aus dem Umfeld des belgischen Verkehrsministers François Bellot.

Was bei der Maut auf Autofahrer zukommt

Worauf müssen sich Autofahrer bei der Pkw-Maut einstellen? Die wichtigsten Punkte nach der Einigung mit der EU-Kommission auf die deutschen Maut-Pläne:

Straßennetz

Inländer sollen für das knapp 13 000 Kilometer lange Autobahnnetz und das 39 000 Kilometer lange Netz der Bundesstraßen Maut zahlen. Pkw-Fahrer aus dem Ausland nur auf den Autobahnen.

Mautpreise für Inländer

Alle inländischen Autobesitzer müssen eine Jahresmaut zahlen, die vom Konto abgebucht wird. Sie richtet sich nach Größe und Umweltfreundlichkeit des Autos. Im Schnitt kostet sie 74 Euro, maximal 130 Euro. Benziner sind günstiger als Diesel.

Mautpreise für Fahrer aus dem Ausland

Für Ausländer gibt es neben der genauso berechneten Jahresmaut auch zwei Kurzzeittarife: Eine Zehn-Tages-Maut für 2,50, 4, 8, 14 oder 20 Euro sowie eine Zwei-Monats-Maut für 7, 11, 18, 30 oder 40 Euro.

Ausgleich für Inländer

Inländer sollen für Mautzahlungen durch eine geringere Kfz-Steuer wieder entlastet werden – auf den Cent genau. Bei besonders schadstoffarmen Autos (Euro 6) soll die Steuer nun sogar stärker sinken als es dem zu zahlenden Mautbetrag entspricht.

Besondere Fahrzeuge

Mautpflichtig sind auch Wohnmobile. Motorräder, Elektroautos, Wagen von Behinderten und Krankenwagen sind mautfrei.

Kontrollen

Statt an Klebe-Vignetten sollen Mautzahler über das Nummernschild ihres Autos zu erkennen sein. Kontrolliert werden soll dies in Stichproben durch elektronischen Kennzeichen-Abgleich. Daten sollen nur hierfür erfasst und schnell wieder gelöscht werden.

Strafen

Wer keine Maut zahlt und erwischt wird, muss eine Geldbuße zahlen. Genaue Summen sind noch nicht festgelegt. Geldbußen sollen auch im Ausland eingetrieben werden.

Rückzahlungen

Inländer, die nachweisen, dass sie in einem Jahr nicht auf Autobahnen und Bundesstraßen gefahren sind, können die Maut zurückfordern. Nachweis könnte ein Fahrtenbuch sein.

Inkrafttreten

Wann die Regelungen greifen, ist vorerst offen. Zuerst müssen die bereits geltenden Gesetze geändert werden. Sicher ist: Starten kann die Maut erst nach der Bundestagswahl im Herbst 2017.

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Tatsächlich ist vor allem das Umfallen der Brüsseler Kommission erstaunlich. Die machte zwar nie einen Hehl daraus, dass sie Straßennutzungsgebühren für alle Mitgliedstaaten begrüßen würde. Herzstück dieser Idee war jedoch stets eine entfernungsabhängige Abgabe, damit nur der zahlt, der auch viel fährt.

Davon ist jetzt jedoch keine Rede mehr. Kommissarin Bulc meinte sogar, das deutsche System könne eine Basis für eine europaweite Maut sein. Das erscheint schwer vorstellbar: In den meisten Ländern, die auch bisher schon für ihre Autobahnen kassieren, steigen die Nutzungsgebühren mit der Entfernung. In Deutschland werden EU-Ausländer nach Tagen abkassiert – egal, wie viel jemand fährt. Der Chef des Verkehrsausschusses im Europäischen Parlament, Michael Cramer (Grüne), sprach offen von einem „faulen Kompromiss“, der antieuropäisch sei, weil letztlich nur die ausländischen Fahrer zur Kasse gebeten werden.

Hinter den Kulissen der Kommission, so war am Freitag zu hören, sei tatsächlich heftig gerungen worden. Sollten die Spekulationen stimmen, dann hat sich Verkehrskommissarin Bulc offenbar heftig gegen den Kompromiss gewehrt. Erst als der Chef der EU-Behörde, Jean-Claude Juncker, nach einem Gespräch mit der Kanzlerin „massiv eingegriffen“ habe, sei eine Verständigung zustande gekommen.

Aus belgischen und niederländischen Regierungskreisen gab es am Freitag bereits erste Überlegungen, im Fall einer deutschen Pkw-Maut selbst eine Straßenbenutzungsgebühr einzuführen, bei der ebenfalls die ausländischen Pkw-Fahrer den Großteil zu tragen hätten. Eine solche Revanche träfe damit vor allem die Nachbarn aus der Bundesrepublik, die zwar zu Hause nichts zusätzlich zahlen müssten, bei der Fahrt über die Grenze dafür aber umso mehr.

Pendler besonders belastet

Man sei, so hieß es in Brüssel, außerdem „darüber sauer, dass Herr Dobrindt auch keine Entlastungen für den sogenannten kleinen Grenzverkehr vorgesehen“ habe. Denn dadurch würden sich „die Deutschen auch noch an den Pendlern bereichern, die jeden Tag zur Arbeit in die Bundesrepublik fahren“. Mit diesem Argument, so betonten Regierungskreise in Den Haag, werde man „noch einige Staaten mehr bewegen, sich einer Klage anzuschließen“.

Woran dabei gedacht wird, sagte das hochrangige Regierungsmitglied auch: Frankreich, die Schweiz, Polen, Tschechien. Es könnte eine Klagewelle werden.

Wo die Maut schon fällig ist

  • Kommt die umstrittene Pkw-Maut, wird das Gebühren-Netz auf deutschen Straßen noch engmaschiger.
  • Bisher müssen Lastwagen ab 7,5 Tonnen Maut zahlen – und zwar auf den Autobahnen sowie 2 300 Kilometern Bundesstraße.
  • 2018 soll die Gebühr für Lkws auf das gesamte, 39 000 Kilometer lange Bundesstraßennetz ausgedehnt werden.
  • Werden auch Pkw zur Kasse gebeten, wären nur noch Kleintransporter zwischen 3,5 Tonnen und 7,5 Tonnen sowie Busse mautfrei unterwegs.
  • Eine Nutzungsgebühr verlangt wird beispielsweise auch für Fahrten durch den Warnowtunnel in Rostock und den Herrentunnel in Lübeck.