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Der Unangepasste geht in Rente

Claus Vejrazka hat zwei Generationen Schülern die Kunst nahegebracht. Zu Beginn sorgte er für Aufsehen.

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© André Braun

Von Jens Hoyer

Döbeln. Als die Eltern der Klasse 5a im Spätsommer 1977 vom ersten Elternabend des neuen Schuljahres aus der Paul-Rockstroh-Oberschule Roßwein zurückkamen, waren sie überrascht. Nein – seien wir ehrlich – sie waren wohl eher entsetzt. Der neue Klassenlehrer der 5a hatte sich vorgestellt. Gerade fertig mit dem Studium, ein hoch aufgeschossener Mensch mit langen Haare und Vollbart. Nicht das, was sich der Roßweiner damals unter einem Lehrer vorstellte. Ich, Schüler dieser Klasse, erinnere mich noch an eine selbstgenähte Weste mit aufgestickter Blume und an einen Lehrer, der immer ein bisschen Ironie durchklingen ließ, der schwarzen Humor und Theatralik liebte. Und der auch mal entnervt den riesigen Schlüsselbund schmiss, wenn ein Schüler unbedingt stören musste. Dieser Lehrer diktierte uns damals als erstes seinen Namen, den er von einem Vorfahren aus dem Tschechischen mitbekommen hatte: Vejrazka, Vorname Claus mit C.

Claus Vejrazka weiß von der Wirkung, die er damals auf die Menschen hatte und muss lachen. Dass da ein schräger Typ in Roßwein unterrichtet, habe sogar ein Cousin in Karl-Marx-Stadt erfahren. „Ich fand mich normal. Ich war an der Hochschule nur ein bisschen aufgefallen, weil ich in diesem Aufzug auch in die Prüfungen gegangen bin.“

Den Vollbart hat er immer noch, weiß geworden mittlerweile und sorgfältig gestutzt. Die Haare sind immer noch länger, als man es bei einem 65-Jährigen erwartet. Wir sitzen in seinem Kabinett im Dachgeschoss des Kunstgebäudes des Lessing-Gymnasiums. Große Dachfenster nach Norden. Das Atelier wird er vermissen, sagt Claus Vejrazka. Ende des Monats geht er in Rente. Nicht mit allzu viel Wehmut. „Es macht noch Spaß, aber die Kräfte lassen nach.“ Ihm falle alles schwerer als noch mit 35, sagt er. „Ich denke, ich habe meinen Teil getan. Man muss die Skepsis der Schüler gegenüber der Kunst immer wieder aufbrechen.“

Obwohl Claus Vejrazka sicher nicht dem Bild von einer veritablen Persönlichkeit der allseits entwickelten sozialistischen Gesellschaft entsprach, hat er zu DDR-Zeiten auch nie Nachteile gehabt, erzählt er. Er wurde in Ruhe gelassen. „Ich habe wohl nicht allzu viel Schaden angerichtet.“ Das obligatorische Erich-Honecker-Porträt in seinem Kunst-Klassenzimmer hatte er irgendwann gegen ein Selbstporträt getauscht, ohne dass es jemand monierte. In der SED oder einer Blockpartei war er nie. „Der Parteisekretär hatte mal gesagt, dass er mich gern werben würde, aber man habe Intelligenzsperre“, erzählt er. Weil die SED eine Arbeiter- und Bauernpartei war, ging dieser Kelch an ihm vorüber. „Ich bin auch nie mit unserem Schuldirektor aneinandergeraten, auch wenn ich das Ziel der militärischen Nachwuchsgewinnung nicht erfüllt habe.“

Lehrer werden, das wollte der Dresdner nicht von Anfang an. Er interessierte sich für Biologie und war beim Dresdner Zoodirektor Wolfgang Ullrich, um sich darüber zu informieren. Er besuchte in Tharandt die Forstakademie, weil auch Förster eine Option gewesen wäre. „Ich habe mich auch an der Schauspielschule in Berlin beworben, bin aber durchgefallen“, erzählt er. Es wurde ein Lehrerstudium. Von Bio/Chemie orientierte er sich um auf Kunst und Deutsch. „Es gibt schon Kinderzeichnungen von mir. Ich hatte Onkel, die gut zeichnen konnten und mich gefördert haben.“ Der Dresdner kam nach dem Studium nach Roßwein und wollte auch nicht wieder weg. Es lebt sich ruhiger in der Provinz und Dresden ist nicht weit.

Unsere Wege haben sich immer wieder gekreuzt in den Jahrzehnten. Nicht nur bei Klassentreffen, zu denen Claus Vejrazka gerne kommt. Nach der Wende wurde er Leiter seiner Schule in Roßwein. „Es gab einen Lehrerrat an der Schule. Als es hieß, einer muss den Direktor machen, haben mich alle erwartungsvoll angeschaut“, erzählt Vejrazka. Nach zwei Jahren war es damit schon wieder vorbei, denn aus der Oberschule wurde eine Grundschule. „Aber diese Zeit war keine schlechte Erfahrung. Danach sieht man manche Dinge mit anderen Augen.“

Vejrazka bekam das Angebot, nach Döbeln ans Gymnasium zu wechseln. Hier unterrichtet er seit vielen Jahren nur noch Kunst und entwarf auch lange die Ausstattung und Kulissen für Stücke der Theater-AG. Verliebt hat er sich in die technischen Möglichkeiten der Neuzeit: nämlich in das Smartboard, das anstelle der Tafel im Kunstkabinett hängt. Seine letzte Ausstellung in Roßwein bestand nur aus Bildern, die am Computer entstanden sind. Die Kunst wird auch im Ruhestand eine wichtige Rolle spielen, auch wenn er da erst einmal etwas kürzer treten will, erzählt er. „Die nächste Ausstellung mache ich dann vielleicht zum 70. Geburtstag. In den Schaukelstuhl werde ich mich bestimmt nicht setzen.“ Reisen steht auf dem Programm und vielleicht die eine oder andere Radtour mit Ehefrau Irmtraud.

Claus Vejrazka zählt schon die Stunden – in seinem Falle die Unterrichtsstunden. Am Montag wird er in der Dienstberatung verabschiedet. Am 28. März ist sein letzter Arbeitstag. Einen Nachfolger gibt es nicht, aber drei junge Lehrerinnen, die Kunst unterrichten können. Der Schule hinterlässt er einen Wandfries. Auf vier Bildern lässt sich aus immer abstrakteren Buchstaben dasselbe Wort zusammensetzen: „Lehrerzimmer.“ Und dort wird er auch hängen.