Merken

Der Standpunkt der Ultras

Dynamo hat seine angekündigte Stellungnahme auf Montag verschoben. Dafür erklärt sich die aktive Fanszene.

Teilen
Folgen
© Mike Worbs

Von Sven Geisler

Ihre Sicht fehlte bisher, aber sie ist unverzichtbar, um die Vorkommnisse rund um das Spiel von Dynamo Dresden in Karlsruhe einordnen zu können. Deshalb hatte die Sächsische Zeitung den Ultras, also der aktiven Fanszene, angeboten, sich in einem Interview äußern zu können. Das wurde – bei Wahrung der Anonymität des Gesprächspartners – erst zugesagt, dann wollten sie die Fragen schriftlich, um sie in der Gruppe zu beantworten. Auch diese Möglichkeit hatte die SZ eingeräumt. Die Antworten gab es gestern Vormittag: in einem Standpunkt, den die Ultras auf ihrer Homepage veröffentlichten.

Es ist eine Anklage gegen den Deutschen Fußball-Bund (DFB), die Politik und die Gesellschaft. Die Sprache ist teilweise derb, umso eindeutiger aber ihre Botschaft: Wir fühlen uns nicht ernst genommen! Die SZ nutzt die Stellungnahme, um die wichtigsten Fragen an diese Fangruppe zu beantworten, die so umstritten ist: einerseits gefeiert für Choreografien, andererseits verteufelt wegen solch verstörender Auftritte wie in Karlsruhe.

Wie beurteilen die Ultras die bei der „Mottofahrt“ begangenen Straftaten?

In der Stellungnahme distanzieren sie sich kurz, aber deutlich von denen, die ihre Aktion als Trittbrettfahrer missbraucht haben. „Unsere Mottofahrt hatte niemals das Ziel, Menschen zu verletzen“, heißt es. Außerdem erteilen sie „all denen eine Absage …, die in unserem Marsch irgendwelche rechtsextremen Tendenzen sehen“. Näher wird auf die Vorwürfe nicht eingegangen, nach ihrer Interpretation stand das Kennzeichen am Trabant für Volkspolizei (VP) und das Baujahr der Reihe (88).

Wie haben sie die Kriegserklärung an den DFB gemeint?

„Als fünf Tage vor unserem Gastspiel in Karlsruhe der KSC zu einem ,Geisterspiel’ verurteilt wurde, war für uns sofort klar, dass wir uns solidarisch zeigen müssen“, heißt es – und im militärischen Jargon: „Wir hatten einen Schuss frei, und genau dieser Schuss musste sitzen.“ Das Motto habe perfekt zu diesem Tag gepasst. „Das Wort Krieg mag für manchen zu weit gehen. Für uns ist dieser Ausdruck die Überspitzung, die es benötigt, damit unsere Situation wahrgenommen wird, als das was sie ist. Ein Kampf!“

Woher rührt der Konflikt zwischen den Ultras und dem DFB?

Die Wurzel des Übels liegt offenbar darin, dass es keinen Dialog mehr gibt, seit die Gespräche zur Legalisierung von Pyrotechnik durch den DFB im Herbst 2011 abgebrochen worden sind. „Lösungsansätze, wie man vernünftig mit der aktiven Fanszene… umgeht, gibt es nicht. Dem DFB wäre es am liebsten, dass dieses ganze unbequeme Publikum für immer verschwindet, damit die Gelddruckmaschine Fußball schön weiter wie geschmiert läuft, ohne zu stottern … Wer sich artig verhält, bekommt genug vom Kuchen ab.“ Wichtiger als der Kontakt zur Basis sei dem DFB das Drei-Gänge-Menü in der Vip-Loge.

Was werfen die Fans dem Verband konkret vor?

Aus dem Standpunkt lassen sich vier wesentliche Kritikpunkte formulieren. Erstens: Der Verband verweigert den Dialog. Die Fußballszene befinde sich mittlerweile in einer Diktatur, behaupten sie. „Es wird vom Verband keine Kommunikation, keine freie Meinungsäußerung, keine Diskussion über schwierige Themen wie Pyrotechnik im Stadion zugelassen.“ Die Fans brauchten aber „vertrauensvolle Gespräche mit Personen, die uns ernst nehmen“. Zweitens: die Urteile der Sportgerichtsbarkeit. „Wir sprechen diesem Gericht jede Legitimation ab. Der DFB ist ein Staat im Staat mit seinen eigenen Regeln und Gesetzen, die er nach Herzenslust selber umgeht, bricht oder einfach ignoriert“, heißt es.

Mittlerweile würde nicht nur das Zünden von Pyro bestraft, sondern auch Spruchbänder, deren Inhalte ihrer Aufassung nach unter die freie Meinungsäußerung fallen. Nach Dynamos Pokalspiel gegen RB Leipzig hatte das Sportgericht jedoch deutlich gemacht, nur jene Plakate zu sanktionieren, die homophob und zur Gewalt aufrufend waren. Die Ultras halten dagegen: „Aktuell bekommt jeder Verein eine Strafe für Äußerungen seiner Fans gegen RB Leipzig und … den Verband.“

Drittens der Zustand des DFB: Es ist von „mafiösen Strukturen“ die Rede, verbunden mit dem Aufruf, sich denen entgegenzustellen. „Korrupte Verbände regieren unseren Sport und jeder angeblich saubere Neuanfang stinkt schon kurze Zeit später wieder zum Himmel.“ Über eigene Fehltritte hülle man den Mantel des Schweigens. Viertens: Der Kommerz macht den Sport kaputt. „Es gibt kaum noch Spieler, die zu einem Verein wechseln, weil sie dort gern hin möchten und darauf brennen, dort zu spielen. Die Branche wird von Beratern regiert, die Spieler handeln, als wären sie ein Spielzeug.“ Schon 18-Jährige würden mit einer Million Euro im Jahr nach Hause gehen, mancher könne später nicht mit Geld umgehen, werde spielsüchtig oder trinkt.

Welches Selbstverständnis haben die Ultras?

Das lässt sich aus der Erklärung herauslesen: „Wir haben die Schnauze voll, wie Affen in einem Käfig gehalten zu werden. Wir sind eine Jugendkultur und brauchen Luft zum Atmen. Wie im gesellschaftlichen Leben werden auch beim Fußball Fehler gemacht. Es werden Grenzen ausgetestet oder sich bloß auf die Nase gehauen. Der Reiz an dem, was man nicht tun darf, ist immer da und wird immer bleiben.“

Wie soll es jetzt aus Sicht der Fans weitergehen?

Darauf sind sie nach eigener Aussage selbst gespannt, die Strafe gegen den Verein ist einkalkuliert. Der DFB werde „wie immer dabei die Vorgaben unseres Rechtsstaates ignorieren“. Ihre Ansage klingt bedrohlich, und das soll sie zweifellos auch: „Aufhalten wird uns das aber nicht.“