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Der Schein zur Leiche

Ärzte haben hohe Hürden, einen natürlichen Tod zu bestätigen. Immer öfter kommt im Kreis die Staatsanwaltschaft ins Spiel.

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© Archivfoto: Getty Images

Von Ralph Schermann

Görlitz/Bautzen. Der sächsische Totenschein hat drei Kästchen. Für eins muss sich der Arzt entscheiden: natürlicher Tod, nicht natürlicher Tod oder ungeklärte Todesart. In den Landkreisen Bautzen und Görlitz legten sich 2010 die Leichenbeschauer in rund 95 Prozent aller Fälle auf Variante eins fest. 2016 waren es nur noch knapp 90 Prozent. Bescheinigten sie 2014 noch 684 unnatürliche oder ungeklärte Sterbefälle, waren es 2016 schon 823. „In diesem Jahr gab es schon 220 Sachverhalte mit solchen Kreuzchen, das werden dann am Jahresende erstmals über Tausend sein“, berichtet Oberstaatsanwalt Sebastian Matthieu. Gehen die Ärzte nicht von natürlichen Todesfällen aus, setzen sie umfangreiche Überprüfungen in Gang, die vom Sächsischen Bestattungsgesetz und der Strafprozessordnung vorgeschrieben sind. Dann beginnen Todesermittlungsverfahren, und bis zu deren Abschluss gelten die Leichen als beschlagnahmt. Nur die Staatsanwaltschaft kann über die Freigabe verfügen. „Wir wissen, dass das Hinterbliebene belastet, deshalb sind solche Verfahren alles Eilsachen“, erklärt der Jurist. Bei der Görlitzer Kriminalpolizei ermitteln zwei dafür geschulte Beamte, und es gibt in Görlitz und Bautzen drei darauf spezialisierte Staatsanwälte. Sie setzen sich das Ziel, jeden Fall in fünf Arbeitstagen abzuschließen. Länger dauert es nur, wenn die Sachlage die Obduktion in der Dresdner Rechtsmedizin erfordert. Oft wird es eng zwischen Freigabe und der vorgesehenen Trauerfeier. „Bei uns gehen die Bestatter täglich ein und aus“, kommentiert der Oberstaatsanwalt.

Fremdverschulden ausschließen

In Todesermittlungsverfahren geht es aber nicht darum, Todesursachen festzustellen. „Wir prüfen nur, ob ein Fremdverschulden ausgeschlossen werden kann“, erklärt Sebastian Matthieu. Dabei geht es auch um das Zusammenführen von Fakten. Stirbt zum Beispiel jemand an einer Lungenentzündung, der vor einigen Wochen gestürzt war, muss ausgeschlossen werden, dass ihn jemand schubste oder dass im Pflegefall nicht die Bettgitter vergessen wurden. Sterbefälle in Kliniken sind darauf zu prüfen, ob die Behandlung korrekt verlief. Für die ärztliche Leichenschau gibt es bundeseinheitliche Regeln. Vorrangig empfiehlt das Gesetz zwar den jeweils behandelnden Hausarzt, denn im Gegensatz zu anderen Medizinern und den Notärzten hat er Kenntnisse über mögliche Vorerkrankungen. Auch das erleichtert aber nicht immer eine Entscheidung. Denn das Kreuz im Feld „natürlicher Tod“ zu setzen, ist ein Arzt nur berechtigt, wenn er „konkrete und dokumentierte Kenntnis hat von einer gravierenden, lebensbedrohenden Erkrankung mit ärztlicher Behandlung in großer Zeitnähe zum eingetretenen Tod. Auch darf keinesfalls das Fehlen äußerer Verletzungen als Begründung für einen „natürlichen Tod“ ausreichen. Für ein Kreuz an anderer Stelle dagegen bedarf es keiner begründeten Diagnose: „Der Verdacht reicht aus“, sagt der Gesetzgeber.

So gesehen, müsste es viel mehr Todesermittlungsverfahren geben. Genau dazu wird die Ärzteschaft von der Staatsanwaltschaft seit einigen Jahren geschult. „Es greift die Erkenntnis, dass wir keine Ärzte jagen, sondern dem Gesetz entsprechen“, erklärt Sebastian Matthieu den Anstieg der Ermittlungen. Letztlich gibt es bei knapp einem Prozent aller Fälle tatsächlich Hinweise auf ein Fremdverschulden. „Das ist ein Beleg für jeden Arzt, beim Bescheinigen eines natürlichen Todes äußerst gründlich nachzuschauen.“