Von Jörg Stock
Freital. Scheu guckt das kleine Mädchen auf den schwarzen Mann und seinen Zylinder. Was das für ein Hut ist? Die Kleine überlegt. „Ein Schornsteinfegerhut?“ Nein, es ist ein Zauberhut, sagt der schwarze Mann. Er lässt den Zylinder hinterm Rücken verschwinden, und als er ihn wieder hervor holt, ist er platt wie eine Flunder. Jetzt der Zauberspruch, und – schnapp! – klappt der Hut auf und eine goldene Münze kullert darin. Strahlend greift die Kleine zu. Der schwarze Mann aber verschwindet. Er hat noch zu tun, oben, auf dem Dach.
Wenn Schornsteinfegermeister Klaus Wolframm seinen Freitaler Kehrbezirk beackert, interessieren ihn nicht nur Kamine, Abgasrohre und Heizkessel. Ihn interessieren auch die Menschen. Er macht Reklame bei ihnen für seinen Beruf, vor allem bei den Kindern. Die sollen sich nicht fürchten, wenn er kommt, sondern freuen. Dafür hat er die Goldmünzen dabei. „Glücksbringer“ steht da drauf. Und wie hält er selbst es mit dem Glück? „Das Glück gehört dem Tüchtigen“, sagt er. Aber er findet, dass das immer öfter nicht mehr hinhaut. Etwa dann, wenn Menschen mit 800 Euro oder weniger in Rente gehen müssen. Das ist doch unwürdig, sagt Wolframm, „das regt mich auf, wenn ich nur dran denke!“
Was die Tüchtigkeit betrifft, kann man Klaus Wolframm schwerlich etwas vorwerfen. Für gewöhnlich ist er morgens 6 Uhr im Büro und eine halbe Stunde später beim ersten Kunden. Viele finden es gut, wenn sie den Pflichttermin noch vor der Arbeit weg haben, sagt der Schornsteinfeger. „Ich bin flexibel.“ Die Flexibilität hat aber auch Grenzen. „Manche sagen zu mir: Kommen sie doch sonntags, da hätte ich Zeit.“
„Das Parlament braucht mehr Quereinsteiger“
Zur Person
An einer Eisenleiter klimmt Klaus Wolframm die Hauswand hoch, schwingt sich über die Dachkante und geht zur Schornsteinmündung. Der Schlot stößt nicht nur Abgas aus, er saugt auch frische Luft zum Verbrennen ein. Am Einlassschlitz hängen Spinnweben, auch Wurfsendungen umstehender Bäume. Das wird aufgeschrieben. Beim nächsten Kehren sollen die Jungs hier ordentlich sauber machen. Wieder am Boden inspiziert Wolframm den Feuerholzstoß. Sein Feuchtemesser zeigt zwölf Prozent an, 25 sind erlaubt. „Das ist top!“
Die Frage, ob er vielleicht sonntags käme, ist für Klaus Wolframm symptomatisch. Die Arbeit beansprucht immer mehr vom Leben, auch das Wochenende. Das ärgert ihn, nicht nur, weil er einst mit dafür demonstriert hat, dass die Arbeitswoche kürzer wird. Es ärgert ihn auch deshalb, weil die Menschen vor lauter Arbeit keine Lust mehr aufs Ehrenamt haben, zum Beispiel auf Politik. Freilich, man kann den anderen das Feld überlassen, denen, die lauter schreien. Der Klügere gibt nach. Aber dann regieren irgendwann die Dummen, sagt Wolframm. Das ist gefährlich.
Ein Politischer war der in Ehingen an der Donau geborene Klaus Wolframm immer. Doch erst mit Ende dreißig trat er der SPD bei, der Partei, die am besten zu ihm zu passen schien. Sozial wollte er sein, und demokratisch sowieso. Und er wollte Helmut Kohl loswerden, den er gründlich satt hatte. Kohl abzulösen hat funktioniert, das soziale Politikmachen eher nicht. Mit Gerhard Schröder ging das „in die Hose“, findet Wolframm. Aber so ist Demokratie eben: „Wenn man die Mehrheit gegen sich hat, muss man das akzeptieren.“
Der Schornsteinfeger gibt Gas. Der Terminplan ist eng. Um die zwanzig Hausbesuche macht er gewöhnlich an so einem Tag. Er stiefelt durch adrette Vorgärten und hübsche Wohnzimmer. Die Kamine sind sauber, die Asche ist weiß. Ein Zeichen für besten Brennstoff. Ja, Deutschland geht es gut. Zu gut, um die Regierung auszuwechseln? Vermutlich, sagt Klaus Wolframm. „Wir leben doch wie die Made im Speck.“ Noch, sagt er. Für die, die in zwanzig oder dreißig Jahren Rentner werden, sieht das schon anders aus. „Wir müssen den Leuten die Angst vor dem Alter nehmen.“
Keine Lust auf Erdogan
Gerechtigkeit ist Klaus Wolframms großes Thema als Wahlkreiskandidat für den Bundestag. Die gibt es seiner Ansicht nach nur, wenn die Reichen mehr abgeben als bisher. Dann kann man auch über kostenlose Kitas reden, über besser bezahlte Polizisten, effizientere Justiz und über Schule, die „nichts kostet, außer etwas Anstrengung“. „Und die Autobahnen müssen wir dann auch nicht privatisieren“, schiebt der Schornsteinfeger nach, und könnte sich schon wieder aufregen. „So ein Unsinn!“
Die Sonne steigt. Schweiß rinnt unter Klaus Wolframms Zylinder hervor, während er Treppen und Hühnerleitern hochklettert und durch Dachluken hangelt. Aber der Hut muss sein. Als Schornsteinfeger ist man eine öffentliche Person. Und die Leute mögen den zünftigen Auftritt, besonders die älteren. „Die finden das nett.“
Wieder ein Dach. Der Kamin darunter ist seit Jahren kalt. In den Schornstein gucken muss man trotzdem. Es könnten Vögel oder Wespen darin nisten. Wolframm entdeckt nichts dergleichen. Der Schacht ist frei. Der Blick auch: Wurgwitz, Pesterwitz, Bombastuswerke, Windberg. Nicht allzu lange ist es her, da war die so friedlich sich räkelnde Stadt Freital ein Pulverfass. Am Flüchtlingsheim „Leonardo“ gingen Fremdenfeinde und Gegendemonstranten aufeinander los. Wolframm macht die Kanzlerin für das Chaos mit verantwortlich. Hunderttausende unbesehen ins Land zu lassen, war ein klarer Rechtsbruch, sagt er, der so nie wieder passieren darf.
Letzter Halt vorm Mittagessen: Bei einer Omi, unter der falltürartigen Kellerklappe, hockt Klaus Wolframm und mustert die Gasheizung. Dass er den Wahlkreis gewinnt, in den Bundestag kommt, dafür sieht er kaum Chancen. Er hat es schon zweimal versucht, sagt er trocken, und es hat nicht geklappt. Warum tut er sich die Kandidatur an? Das Herumreisen, das Klinkenputzen, die E-Mail-Flut? Weil er keine Lust hat, „Richtung Erdogan“ zu marschieren, weil er stolz ist auf sein Deutschland, den Rechtsstaat. Er mag nicht perfekt sein, aber meckern hilft da auch nicht weiter, sagt er. „Man muss mitmachen.“
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