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Der rote schwarze Mann

Die Reichen sollen mehr abgeben, sagt Bundestagskandidat Klaus Wolframm (SPD) beim Streifzug über Freitals Dächer.

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© Andreas Weihs

Von Jörg Stock

Freital. Scheu guckt das kleine Mädchen auf den schwarzen Mann und seinen Zylinder. Was das für ein Hut ist? Die Kleine überlegt. „Ein Schornsteinfegerhut?“ Nein, es ist ein Zauberhut, sagt der schwarze Mann. Er lässt den Zylinder hinterm Rücken verschwinden, und als er ihn wieder hervor holt, ist er platt wie eine Flunder. Jetzt der Zauberspruch, und – schnapp! – klappt der Hut auf und eine goldene Münze kullert darin. Strahlend greift die Kleine zu. Der schwarze Mann aber verschwindet. Er hat noch zu tun, oben, auf dem Dach.

„Schulz ist okay“, sagt Klaus Wolframm, dessen Konterfei hier rechts auf einer Energy-Drink-Dose zu erkennen ist. Martin Schulz lächelt links auf Apfelschorle. Den Werbegag haben sich lokale Jusos für den Wahlkampf einfallen lassen.
„Schulz ist okay“, sagt Klaus Wolframm, dessen Konterfei hier rechts auf einer Energy-Drink-Dose zu erkennen ist. Martin Schulz lächelt links auf Apfelschorle. Den Werbegag haben sich lokale Jusos für den Wahlkampf einfallen lassen. © Norbert Millauer

Wenn Schornsteinfegermeister Klaus Wolframm seinen Freitaler Kehrbezirk beackert, interessieren ihn nicht nur Kamine, Abgasrohre und Heizkessel. Ihn interessieren auch die Menschen. Er macht Reklame bei ihnen für seinen Beruf, vor allem bei den Kindern. Die sollen sich nicht fürchten, wenn er kommt, sondern freuen. Dafür hat er die Goldmünzen dabei. „Glücksbringer“ steht da drauf. Und wie hält er selbst es mit dem Glück? „Das Glück gehört dem Tüchtigen“, sagt er. Aber er findet, dass das immer öfter nicht mehr hinhaut. Etwa dann, wenn Menschen mit 800 Euro oder weniger in Rente gehen müssen. Das ist doch unwürdig, sagt Wolframm, „das regt mich auf, wenn ich nur dran denke!“

Was die Tüchtigkeit betrifft, kann man Klaus Wolframm schwerlich etwas vorwerfen. Für gewöhnlich ist er morgens 6 Uhr im Büro und eine halbe Stunde später beim ersten Kunden. Viele finden es gut, wenn sie den Pflichttermin noch vor der Arbeit weg haben, sagt der Schornsteinfeger. „Ich bin flexibel.“ Die Flexibilität hat aber auch Grenzen. „Manche sagen zu mir: Kommen sie doch sonntags, da hätte ich Zeit.“

„Das Parlament braucht mehr Quereinsteiger“

Wenn über Freital schlecht geredet wird, dann halte ich dagegen und erkläre die Situation so, wie sie tatsächlich in der Stadt war und ist.

Die Entwicklung in der Region macht mich glücklich, weil es wirtschaftlich bei uns aufwärts geht.

Die Entwicklung in der Region macht mich nicht glücklich, weil die Infrastruktur nicht ausreichend mitwächst: Schulen, Lehrer, Justiz, Polizei, Verwaltung – wir brauchen mehr Personal, um den Rechtsstaat aufrecht zu erhalten.

Ein Vorbild für mich sind alle die, die für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintreten, weil nur so die Freiheit der Menschen erhalten bleibt.

Mein Glücksbringer ist… Ich bringe den anderen das Glück.

Im Bundestag vermisse ich die Einschränkung des Lobbyismus und die mangelnde Transparenz der Einkünfte der Abgeordneten. Ich glaube auch, dass wir mehr Quereinsteiger im Bundestag brauchen, Mittelständler zum Beispiel, die Hunderte Mitarbeiter führen, die wissen, was in der Wirtschaft läuft. Um die in die Politik zu kriegen, würde ich auch die Diäten erhöhen.

Mit Angela Merkel würde ich gern mal ... gar nichts.

Wenn ich meinen Mitbewerbern einen Rat geben könnte, würde ich es nicht tun. Das steht mir nicht zu.

Wenn ich beruflich etwas anderes machen würde, wäre ich Kabarettist. Kabarettisten dürfen alles sagen.

Ich fühle mich am wohlsten bei der Familie und unter Freunden.

Freunde sind das Salz in der Suppe.

Badminton ist mein liebster Sport, weil ich die technischen Möglichkeiten super finde. Entscheidend sind nicht nur die körperliche, sondern auch die mentale Fitness und der Siegeswille.

Manchmal träume ich von einer Welt ohne Krieg und Hunger.

Am meisten ärgert mich, wenn alle schimpfen und es besser wissen, aber nicht bereit sind, sich selbst zu engagieren. Es kann nur besser werden, wenn jeder ein bisschen mitmacht.

Meinen Urlaub verbringe ich am liebsten aktiv, zum Beispiel beim Skifahren, Radfahren, Tauchen oder Schnorcheln.

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Zur Person

Klaus Wolframm, 58 Jahre alt, wurde in Ehingen an der Donau (Baden-Württemberg) geboren. Er ist verheiratet, hat eine 18-jährige Tochter und wohnt in Freital.

Gelernt hat Klaus Wolframm zuerst Konditor. Dann sattelte er auf Buch- und Offsetdrucker um. Aus gesundheitlichen Gründen musste er ein zweites Mal umschulen und begann mit 26 die Lehre als Schornsteinfeger. 1992 bestand er die Meisterprüfung. Seit 1996 arbeitet er in Freital als selbstständiger Schornsteinfeger.

In die SPD trat Wolframm 1997 ein, wurde Chef des SPD-Ortsvereins Freital, Kreisvorsitzender und Mitglied des SPD-Landesvorstands. Heute ist er SPD-Kreisrat und Stadtrat der SPD in Freital, wo er zugleich als Fraktionsvorsitzender agiert.

Außerdem hat Klaus Wolframm lange in den Meisterschulen der Schornsteinfeger gelehrt und sitzt immer noch im Meisterprüfungsausschuss.

In der Freizeit spielt Wolframm Badminton bei der Wohnsportgemeinschaft WSG Zauckerode, die er als Vorsitzender leitet. (SZ/jös)

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An einer Eisenleiter klimmt Klaus Wolframm die Hauswand hoch, schwingt sich über die Dachkante und geht zur Schornsteinmündung. Der Schlot stößt nicht nur Abgas aus, er saugt auch frische Luft zum Verbrennen ein. Am Einlassschlitz hängen Spinnweben, auch Wurfsendungen umstehender Bäume. Das wird aufgeschrieben. Beim nächsten Kehren sollen die Jungs hier ordentlich sauber machen. Wieder am Boden inspiziert Wolframm den Feuerholzstoß. Sein Feuchtemesser zeigt zwölf Prozent an, 25 sind erlaubt. „Das ist top!“

Die Frage, ob er vielleicht sonntags käme, ist für Klaus Wolframm symptomatisch. Die Arbeit beansprucht immer mehr vom Leben, auch das Wochenende. Das ärgert ihn, nicht nur, weil er einst mit dafür demonstriert hat, dass die Arbeitswoche kürzer wird. Es ärgert ihn auch deshalb, weil die Menschen vor lauter Arbeit keine Lust mehr aufs Ehrenamt haben, zum Beispiel auf Politik. Freilich, man kann den anderen das Feld überlassen, denen, die lauter schreien. Der Klügere gibt nach. Aber dann regieren irgendwann die Dummen, sagt Wolframm. Das ist gefährlich.

Ein Politischer war der in Ehingen an der Donau geborene Klaus Wolframm immer. Doch erst mit Ende dreißig trat er der SPD bei, der Partei, die am besten zu ihm zu passen schien. Sozial wollte er sein, und demokratisch sowieso. Und er wollte Helmut Kohl loswerden, den er gründlich satt hatte. Kohl abzulösen hat funktioniert, das soziale Politikmachen eher nicht. Mit Gerhard Schröder ging das „in die Hose“, findet Wolframm. Aber so ist Demokratie eben: „Wenn man die Mehrheit gegen sich hat, muss man das akzeptieren.“

Der Schornsteinfeger gibt Gas. Der Terminplan ist eng. Um die zwanzig Hausbesuche macht er gewöhnlich an so einem Tag. Er stiefelt durch adrette Vorgärten und hübsche Wohnzimmer. Die Kamine sind sauber, die Asche ist weiß. Ein Zeichen für besten Brennstoff. Ja, Deutschland geht es gut. Zu gut, um die Regierung auszuwechseln? Vermutlich, sagt Klaus Wolframm. „Wir leben doch wie die Made im Speck.“ Noch, sagt er. Für die, die in zwanzig oder dreißig Jahren Rentner werden, sieht das schon anders aus. „Wir müssen den Leuten die Angst vor dem Alter nehmen.“

Keine Lust auf Erdogan

Gerechtigkeit ist Klaus Wolframms großes Thema als Wahlkreiskandidat für den Bundestag. Die gibt es seiner Ansicht nach nur, wenn die Reichen mehr abgeben als bisher. Dann kann man auch über kostenlose Kitas reden, über besser bezahlte Polizisten, effizientere Justiz und über Schule, die „nichts kostet, außer etwas Anstrengung“. „Und die Autobahnen müssen wir dann auch nicht privatisieren“, schiebt der Schornsteinfeger nach, und könnte sich schon wieder aufregen. „So ein Unsinn!“

Die Sonne steigt. Schweiß rinnt unter Klaus Wolframms Zylinder hervor, während er Treppen und Hühnerleitern hochklettert und durch Dachluken hangelt. Aber der Hut muss sein. Als Schornsteinfeger ist man eine öffentliche Person. Und die Leute mögen den zünftigen Auftritt, besonders die älteren. „Die finden das nett.“

Wieder ein Dach. Der Kamin darunter ist seit Jahren kalt. In den Schornstein gucken muss man trotzdem. Es könnten Vögel oder Wespen darin nisten. Wolframm entdeckt nichts dergleichen. Der Schacht ist frei. Der Blick auch: Wurgwitz, Pesterwitz, Bombastuswerke, Windberg. Nicht allzu lange ist es her, da war die so friedlich sich räkelnde Stadt Freital ein Pulverfass. Am Flüchtlingsheim „Leonardo“ gingen Fremdenfeinde und Gegendemonstranten aufeinander los. Wolframm macht die Kanzlerin für das Chaos mit verantwortlich. Hunderttausende unbesehen ins Land zu lassen, war ein klarer Rechtsbruch, sagt er, der so nie wieder passieren darf.

Letzter Halt vorm Mittagessen: Bei einer Omi, unter der falltürartigen Kellerklappe, hockt Klaus Wolframm und mustert die Gasheizung. Dass er den Wahlkreis gewinnt, in den Bundestag kommt, dafür sieht er kaum Chancen. Er hat es schon zweimal versucht, sagt er trocken, und es hat nicht geklappt. Warum tut er sich die Kandidatur an? Das Herumreisen, das Klinkenputzen, die E-Mail-Flut? Weil er keine Lust hat, „Richtung Erdogan“ zu marschieren, weil er stolz ist auf sein Deutschland, den Rechtsstaat. Er mag nicht perfekt sein, aber meckern hilft da auch nicht weiter, sagt er. „Man muss mitmachen.“

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