Merken

Der Osten hat im Osten noch immer wenig zu sagen

Mühsame Aufholjagd: Auch ein Vierteljahrhundert nach der Wende sitzen vorrangig Westdeutsche auf den Chefsesseln.

Teilen
Folgen
© Zeichnung: diekleinert

Von Gunnar Saft

Leipzig. Die Optik täuscht: 25 Jahre nach der Wiedervereinigung stellt Ostdeutschland zwar die Bundeskanzlerin und den Bundespräsidenten. In den neuen Ländern selbst bleiben Ostdeutschen aber einflussreiche Positionen oft noch versagt. Hier entscheiden überwiegend gebürtige Westdeutsche auf den Chefposten in der Wirtschaft, Justiz, den Medien und der Armee.

Laut einer aktuellen Studie, welche die Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit dem MDR erstellte, ist die ostdeutsche Bevölkerung heute in allen einheimischen Machtbereichen unterrepräsentiert. Ihr Anteil an 1 099 ostdeutschen Führungspositionen beträgt nur knapp 23 Prozent bei einem gleichzeitigen Bevölkerungsanteil von 87 Prozent. Nur innerhalb der fünf ostdeutschen Landesregierungen wird inzwischen ein deutlich höherer Wert von immerhin 70 Prozent erreicht. Aber auch diese Quote liegt noch unter dem Bevölkerungsanteil in den neuen Ländern.

Laut den Autoren der Studie ist die Aufholjagd der Ostdeutschen beim Kampf um Elite-Posten in den eigenen Bundesländern mühsam und oft nicht erfolgreich. Im Vergleich zu 2004 sei in der Zwischenzeit „nur ein extrem langsames Nachrücken auf sehr niedrigem Niveau“ erfolgt. Aber auch das betreffe vor allem Bereiche, in „denen Posten eher langfristig und stark nach fachlicher Qualifikation vergeben werden oder wo das Ausscheiden von Vorgesetzten die Bedingung für einen Aufstieg ist“. Zum Teil vollziehe sich statt einer Angleichung sogar eine gegenteilige Entwicklung, bei der die Zahl der Ostdeutschen auf den Chefsesseln wieder sinkt. Ostdeutsche in Führungspositionen, so das Fazit, bildeten heute viel stärker eine Minderheit als Frauen in Chefetagen. Aktuell würden sie besonders auf Positionen in der zweiten Reihe eingesetzt, die eher mit Durchführung und Verwaltung verbunden seien.

Die Studie dürfte für rege Debatten sorgen. Einen wichtigen Aspekt dazu beantworten die Macher bereits vorab: Wer gilt heute eigentlich noch als Ostdeutscher? Der Untersuchung legten sie eine klare Definition zugrunde. Demnach gilt als Ostdeutscher, wer vor dem 31. Dezember 1975 in der DDR geboren wurde und dort bis 1989 oder kurz zuvor gelebt hat. Dieses Kriterium wurde angewendet, um bei fast 1100 Führungspositionen in Ostdeutschland zu prüfen, wer dort heute das Sagen hat. Das Ergebnis ist eindeutig: Ost-Eliten haben es nach wie vor schwer, sich im Kampf um die Chefsessel durchzusetzen. „Eine Annäherung bei den gesellschaftlichen Eliten fand nicht statt“, erklärt Professor Olaf Jacobs vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Lediglich in der Justiz, in Teilen der Wirtschaft, in der Bundeswehr sowie in einigen Medienbetrieben ist ein Nachrücken der Ostdeutschen festzustellen – allerdings auf sehr niedrigem Niveau.

Bundesweit sieht die Situation noch schlechter aus. Mit 1,7 Prozent seien Ostdeutsche unter den Führungskräften so gut wie nicht vertreten. Nur in der Bundesregierung entspricht die Zahl der „Ost-Minister“ heute dem Bevölkerungsanteil. Allerdings: „Von insgesamt 60 Staatssekretären der Bundesregierung stammen drei aus dem Osten, 2004 waren es immerhin noch sechs.“ Die Studie macht nur wenig, aber immerhin etwas Hoffnung. Seit 2016 würden vermehrt aus dem Westen stammende Chefs ihre Ost-Posten aus Altersgründen aufgeben. Die Nachfolger seien zwar auch meistens Westdeutsche, allein der Anteil der Ostdeutschen nehme deutlicher zu.

Das MDR-Fernsehen sendet den ersten Teil der Doku zur Studie unter dem Titel „Wer beherrscht den Osten? Geld – Macht – Staat“ am 31. Mai 2016 um 22:05 Uhr. Eine Voraufführung der TV-Dokumentation mit anschließender Diskussionsrunde findet am 30. Mai 2016 ab 19 Uhr im Dresdner Filmtheater Schauburg statt. Die Landeszentrale für politische Bildung hat Autoren der Studie, Politiker, Journalisten und Ex-Ministerpräsident Milbradt eingeladen (Eintritt frei).