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Der Kinomann mit den tausend Geschichten

Helmut Göldner ist einer der letzten mobilen Filmvorführer Deutschlands. Am Wochenende machte er in Gröba Halt.

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© Sebastian Schultz

Von Kevin Schwarzbach

Riesa. Da sag noch einer, Männer könnten nicht mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen. Helmut Göldner zumindest kann es: den Transporter ausladen, einen Hinweiszettel lesen und aus seinem Leben berichten. Alles kein Problem, den Aufbau des mobilen Kinos erledigen seine Hände beinahe von allein, der Mann mit dem grauen Haar und der altmodischen Strickjacke kann sich derweil ganz dem Erzählen widmen. In manchen Momenten scheint es, als wäre das seine wahre Leidenschaft: die Geschichten wiedergeben, die er in 58 Jahren auf Achse erlebt hat.

Am vergangenen Sonnabend kommen weitere hinzu. Zum zweiten Mal in seinem bewegten Leben macht Helmut Göldner in Gröba Halt, um auf Einladung der Stadtteilinitiative „Wir in Gröba“ bei der Open-Air-Filmnacht im Schlosspark zu spielen. Auf dem Programm stehen Robinson Crusoe für die Kinder und Sushi in Suhl für die Erwachsenen. Und aufgrund des schlechten Wetters hat der 73-Jährige gleich einige Probleme zu lösen.

Vor allem die Leinwand stellt ihn kurzzeitig vor eine Herausforderung. Der Raum, der als Ausweichplatz für das Freiluftkino dient, scheint ihm zu niedrig. Doch Göldner weiß sich zu helfen, holt ein paar Stangen aus dem Auto, steckt sie zusammen, zieht eine Leinwand über und stellt die Konstruktion schräg gegen die Wand. „Sieht doch gut aus“, freut sich Göldner. „Immerhin ist die Leinwand das Aushängeschild eines Kinomanns, das sagten wir zumindest früher untereinander.“

Früher, das war eine Zeit, kurz nach der Wende, in der Helmut Göldner noch Kollegen hatte, die ebenfalls über das Land reisten und das Kino zu den Menschen brachte. „Damals wurden alle Kinos dichtgemacht und ich war sehr gefragt. Da haben wir teilweise vier Freiluftkinos an einem Wochenende gehabt“, erinnert sich Göldner. Auch heute wird der 73-jährige Kinomann noch immer gebucht, doch die Zahl seiner Einsätze hat sich deutlich verringert. „Ich mache vielleicht 150 Veranstaltungen im Jahr.“ Meist hat er dabei seine Ernemann VII B von 1937 im Laderaum seines Transporters, spielt mit ihr die historischen Filmrollen ab. Doch in Gröba hat er statt des Klassikers einen Blu-ray-Player dabei, weil das Wetter schlecht ist und er das 200-Kilo-Gerät nicht aus dem Transporter in einen Ausweichraum heben könnte. Passt das Wetter, spielt er bei Open-Air-Vorführungen direkt aus dem Transporter. – Schon mit 15 machte Göldner seinen Filmvorführschein. Auch seine Lehre als Schlosser konnte ihn nicht von der Verwirklichung seines Traumes abbringen, Helmut Göldner ist und bleibt der Kinomann – bis heute. Seit 58 Jahre reist der Mann aus Sieglitz in Sachsen-Anhalt nun schon durch Deutschland, hat in Theatern, Kirchen, Schulen, Schlössern, Pflegeheimen und Gefängnissen gespielt, dabei Tausende Geschichten gesammelt. Eine Begegnung reicht längst nicht aus, um auch nur einen Bruchteil seiner Erlebnisse zu erfahren, die Zeilen dieses Textes genügen nicht ansatzweise, um das Leben des Kinomannes wiederzugeben. Eine Geschichte sei trotzdem erzählt: Vergangenes Jahr geschah, was angesichts Göldners Redefreude unvorstellbar scheint: Der 73-Jährige wurde nach Berlin chauffiert und dort von seinem Lieblingsschauspieler empfangen, Gojko Mitic persönlich überreichte ihm den Preis „Für Kultur und Kunst“ für sein Lebenswerk und begleitete ihn auf die Berlinale. Da war selbst Helmut Göldner mal sprachlos.

Die Auszeichnung hat ihm zusätzliche Motivation verliehen, an Aufhören ist für ihn nicht zu denken. „Mindestens bis ich 80 bin, mache ich das noch. Und wenn es in sieben Jahren immer noch geht, werde ich auch weiterhin dabei bleiben.“ Helmut Göldner wird das Kino weiterhin dorthin bringen, wo die Menschen es sehen wollen.