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Der Kampf um das Nilwasser

Für Äthiopien ist der Nil der Schlüssel zur Entwicklung. Für Ägypten ist er das Lebenselixier. Der Bau des größten Staudamms Afrikas könnte nun einen schweren Konflikt um die essenzielle Ressource entfachen.

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© dpa

Gioia Forster und Benno Schwinghammer

Guba. Wie eine Pyramide thront der Staudamm über dem Blauen Nil. Das massive Betonbauwerk ragt 145 Meter aus der äthiopischen Erde. Stufen, gebaut wie für Riesen, führen hoch zum etwa zwei Kilometer langen Kamm des Damms, der zwei Berggipfel verbindet.

Das Wasser des Blauen Nils rauscht durch den Staudamm gen Westen, in Richtung Sudan und weiter nach Ägypten. An den Fluten hängen die Hoffnungen der ganzen Region - und die Sorgen. Denn der neue Staudamm könnte den Konflikt um das Wasser des Flusses eskalieren lassen. Das Säbelrasseln hat bereits begonnen: Das Wasser sei eine „Sache von Leben und Tod“, warnte Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi.

Im abgelegenen Nordwesten Äthiopiens entsteht derzeit der größte Staudamm Afrikas. Für das Land ist der Bau des Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) ein beispielloses Unterfangen. Bereits bis zu 63 Prozent gebaut, wird er nach äthiopischen Angaben künftig maximal 6 450 Megawatt Strom aus Wasserkraft erzeugen. Das entspräche etwa der Leistung von vier Reaktoren eines modernen Kernkraftwerks.

Der Damm soll die Entwicklung Äthiopiens kräftig ankurbeln. Zwar ist das Land in diesem Jahr einer Prognose der Weltbank zufolge die am schnellsten wachsende Wirtschaft der Welt. Doch in dem Staat mit rund 100 Millionen Einwohnern herrscht immer noch große Armut und Arbeitslosigkeit. Mit etlichen Infrastruktur-Projekten will die Regierung Äthiopien wirtschaftlich nach vorne katapultieren - doch nach dem chinesischen Modell, mit eiserner Staatskontrolle und kaum Raum für Kritik.

„Der Damm wird uns erlauben, unseren gemeinsamen Gegner zu bekämpfen: Armut“, sagt der Chef-Ingenieur des Bauprojekts, Semegnew Bekele. Für Bekele, wie für die meisten Äthiopier, ist der Renaissance-Damm auch ein Symbol der Unabhängigkeit und Willensstärke Äthiopiens. Die Baukosten von rund vier Milliarden US-Dollar werden, so heißt es offiziell, von Äthiopien selbst finanziert.

Doch Äthiopiens Alleingang sorgt flussabwärts für große Furcht. Kein Land auf der Welt sieht sein Schicksal so eng mit dem Lauf eines Flusses verknüpft wie Ägypten. Das Land beziehe etwa 97 Prozent seines Wassers aus dem Fluss, sagt Michele Dunne, die Nahost-Leiterin der Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace - essenziell vor allem für die Landwirtschaft.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts reguliert Ägypten selbst mit einer Staumauer und später dem Staudamm in Assuan die Wasserstände des Nils. Die Angst, Addis Abeba könnte nun den Wasserhahn abdrehen, ist groß. „Niemand darf Ägyptens Wasser antasten“, sagte jüngst Al-Sisi.

Gegenseitiges Misstrauen und scharfe Rhetorik prägen seit Jahren den Diskurs zwischen beiden Ländern. Der derzeit größte Streitpunkt ist das Reservoir, das hinter dem Damm entstehen und eine Fläche von 1874 Quadratkilometer abdecken soll - das ist mehr als drei mal so groß wie der Bodensee. Das Füllen des Reservoirs ist ein besonders sensibles Thema. Denn je schneller dieses gefüllt wird, desto weniger Wasser fließt in den Sudan und nach Ägypten.

Darüber eine Einigung zu erzielen, ist kompliziert. Es sei unklar, wie viel Wasser Jahr für Jahr den Nil hinabfließen werde, erklärt Kenneth Strzepek, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Der Klimawandel komme als Unsicherheitsfaktor dazu. „Wenn Ägypten und Äthiopien also versuchen, eine klare Einigung darüber zu erzielen, wie viel Wasser jährlich zurückgehalten und wie viel durchgelassen wird, gibt es für beide ein Risiko.“

Der Sudan hat längst einige Vorteile des Damms für sich erkannt. Doch auch Ägypten könne letztendlich vom Staudamm profitieren, sagt Ingenieur Kevin Wheeler von der Oxford Universität. So bedeute etwa ein zusätzlicher See flussaufwärts mehr Wassersicherheit für Ägypten in trockenen Jahren - wenn die Länder eng miteinander zusammenarbeiten. Und das ist der Knackpunkt: „Ich kenne keine andere Situation, in der zwei Staudämme dieser Größenordnung auf einem Fluss betrieben werden, ohne einen Plan, wie man die beiden koordiniert“, sagt Wheeler.

Womöglich könnten internationale Akteure eingreifen, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden, sagt Dunne. Auch könnten demnach Addis Abeba und Kairo noch selbst zu einer Einigung kommen. Doch auch eine militärische Provokation Ägyptens sei denkbar. „Eine Sicherheitskrise steht nicht unmittelbar bevor, aber es ist möglich.“ (dpa)