Von Maria Fricke
Freiberg. Das Gute an der Krise von Solarworld: Matthias Stoll hat mehr Zeit, zumindest etwas. Eingespannt ist der Servicemechaniker der Freiberger Firma, die zurzeit aufgrund ihrer Insolvenz kaum aus den Schlagzeilen kommt, trotzdem. Sieben Tage die Woche arbeiten, Schichtdienst, nur ein freies Wochenende im Monat. Sein Zeitplan ist eng gestrickt, Termine, Treffen mit der Chemnitzer Lebensgefährtin, der Familie, aber auch politisches Engagement müssen genau eingetaktet werden.
Gerade Letzteres nimmt derzeit etwas mehr Zeit in Anspruch als sonst. Denn Matthias Stoll ist einer von sieben Direktkandidaten, die am 24. September von den Mittelsachsen im Wahlkreis 161 in den Bundestag gewählt werden wollen. Er tritt für die Randpartei BüSo, die Bürgerrechtsbewegung Solidarität, an. Bereits für die Kandidatur waren 200 Unterstützerunterschriften nötig, weil seine Partei in den vergangenen Jahren weder in Bundestag noch Landtag mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten gewesen ist.
Zur BüSo gekommen ist Stoll 2001 über einen Diskussionsstand der Partei in Freiberg. „Dort habe ich gemerkt: Das ist ein gangbarer Weg“, schildert Stoll. In dem Programm der Partei, die 1992 gegründet worden ist und eine neuere, gerechtere Weltwirtschaftsordnung fordert, fand er sich und seine Überzeugungen wieder. Seitdem tritt er für diese ein. Eine andere Partei habe ihn nie gereizt. Schon 2013 ließ er sich als Direktkandidat für die BüSo, die ihren Hauptsitz in Dresden hat, für die Wahl des Deutschen Bundestag aufstellen. Gerade einmal 207 Zweitstimmen bekam die Partei , das entspricht etwa 0,14 Prozent der Stimmen. Aber immerhin: „Meine Stimmenanzahl, gemessen an den sächsischen Gesamtergebnissen, war prozentual die Beste“, erklärt Stoll. Für ihn ein positives Signal. Und Motivation genug, um es noch einmal anzugehen. „Ich erwarte nach den innenpolitischen Turbulenzen der letzten Jahre mehr Nachdenken der Wähler über Alternativen zum bisherigen, liberalen Kurs“, sagt der Direktkandidat.
Zur Person
Sechs Fragen an: Matthias Stoll (BüSo)
Sein Ziel als Abgeordneter in dem Gremium ist ein Paradigmenwechsel: Weg von einer Wirtschaft, die von Finanzoligarchen durchdrängt ist, hin zu einer Wirtschaft, die auf realen Werten basiert. Auch eine friedliche Zukunftsgestaltung mit den europäischen Nachbarn, Russland eingeschlossen, gehöre dazu. Stoll orientiert sich an den Idealen des deutschen Humanismus. Eines davon sei die Anschauung, dass alle Menschen auf der Welt gleich sind und auch so behandelt werden sollten.
Dieses Prinzip lebt der 56-Jährige in seiner „knappen“ Freizeit, wie er sagt, auch. Stoll und seine Lebensgefährtin betreuen in Chemnitz eine syrische Familie. Der Kontakt sei spontan am Spielplatz entstanden. „Die Kinder haben uns gewunken, kamen irgendwann auf uns zu und haben uns ihr Spielzeug gezeigt. Sie waren froh über den Kontakt“, erzählt Matthias Stoll. Durch die regelmäßigen Treffen sei deutlich geworden, dass die Familie in Chemnitz Probleme hatte, sich allein in Deutschland zurechtzufinden. Seitdem sind der Freiberger sowie seine Partnerin zu „festen Familienmitgliedern“ der Syrer geworden. „Wir müssen immer mit zum Essen bleiben, auch wenn es erst 22 Uhr abends wird. Selbst, wenn wir früh auf Arbeit müssen“, schildert der gebürtige Chemnitzer. Er und seine Partnerin haben der Familie bei der Suche nach einer Wohnung geholfen, auch beim Umzug mit angepackt. „Ich habe eine Waschmaschine gekauft und etwas zum Kühlschrank dazugegeben“, erzählt Stoll. Auch bei Amtsgeschäften begleiten der Freiberger und seine Partnerin die Syrer.
Gerade im Umgang mit den Behörden sei ihm aufgefallen, wie groß mitunter die Diskrepanz zwischen den Ämtern ist. So hätten diese die syrischen Eltern zu Deutschkursen verpflichtet, obwohl es für die derzeit fünfjährige Tochter keinen Kita-Platz gegeben habe. Somit bestand für die Eltern nicht die Möglichkeit, an den Kursen teilzunehmen. „Das haben die Ämter aber nicht verstanden“, meint Stoll. Seine Partnerin und er hätten sich dafür eingesetzt, dass die Tochter einen Kita-Platz bekommt. Seine Lebensgefährtin habe auch die syrische Frau zum Deutsch-Kurs begleitet, obwohl der Familienvater zunächst gegen den Kurs für seine Frau war. „Inzwischen geht sie allein“, berichtet der Freiberger von dem kleinen Erfolg.
Eigene Kinder hat Stoll nicht. Seine Lebensgefährtin dafür zwei erwachsene Töchter. Doch weil gerade die Jüngere noch ab und zu Unterstützung benötigt, verzichtet das Paar derzeit auf längere Reisen in weit entfernte Länder. Dabei liebt Stoll es, zu verreisen. Seine bevorzugte Region sind die Alpen. „Jetzt muss es aber nicht mehr der Dreitausender sein“, sagt Stoll, auch in Hinblick auf sein Alter. Seine politische Aktivität sei von seinem Umfeld – einer Gruppe von etwa 30 Personen aus Verwandten, Bekannten und Freunden, die sich regelmäßig trifft – wohlwollend aufgenommen worden. Immer wieder diskutiere er mit den Menschen, die gesellschaftlich verschiedenste Positionen einnehmen, so sei ein Geschäftsführer ebenso darunter, wie ein Finanzspekulant. „Sie nehmen meine Gedanken als Alternative auf, die möglich wäre“, sagt der Freiberger.
Was dem Mittelsachsen fehlt, ist ein Bezug zur Region Döbeln. Sicher hätte er in der Vergangenheit auch einmal die Burg Kriebstein besucht. Doch darüber hinaus habe es bisher keinen Grund gegeben, in die Region zu kommen. Sein Lebensmittelpunkt sei Freiberg.
Für den Freistaat wünscht sich der Solarworld-Mitarbeiter vor allem mehr Mitbestimmungsrecht. „Die Politiker der Region sollten mehr an die Bundespolitik herantreten. Vor allem in der Infrastruktur gebe es genügend zu tun. Stichworte sind da unter anderem der Ausbau des Breitbandnetzes sowie der Energieversorgung.
Vieles sei politisch auch falsch gelaufen, was die Förderung von Solarenergie angeht. Das sei auch ein Grund, weshalb Solarworld Insolvenz angemeldet habe. „Gefördert worden sind die Produkte und damit auch China“, sagt Stoll. Die Module aus dem Fernen Osten wurden zur Konkurrenz für die deutschen Unternehmen. „Die Politik hätte sollen die Firmen fördern“, sagt Stoll. Denn in diesen stecke das eigentliche Potenzial des Landes: das geistige Eigentum, das Ingenieurwesen. „Wenn wir das nicht schützen, stehen wir eines Tages mit leeren Händen da. Und das führt zum Chaos“, ist sich Stoll sicher. Von der aktuellen Kündigungswelle bei Solarworld ist er nicht betroffen. Er liebe seinen Beruf, die Solartechnik sei die Zukunft. Auch wenn sie politisch falsch aufgestellt sei. So, wie sie jetzt behandelt werde, dürfe sich keiner wunden, wenn die Branche pleitegeht.
Wenn er einmal alt ist, dann will Stoll auf sein Leben zurückblicken und sagen: Ich habe etwas verändert. Ich habe etwas getan. Ich habe dem Leid nicht nur zugeschaut. Diese Intention treibt den Freiberger an, es noch einmal zu versuchen, in den Deutschen Bundestag zu kommen.