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Der Frust wird vererbt

Die SPD versammelt Unmut und Zorn und will mit einem Sonderfonds trösten. Rund 100 Bürger diskutierten im Dresdner Hygiene-Museum beim „Forum Ost“ mit Sachsens Gleichstellungsministerin Petra Köpping.

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© Robert Michael

Von Karin Großmann

Das seltsame Wort kommt an diesem Nachmittag mehrfach vor. Es heißt „ausgeurteilt“ und bedeutet, dass ein Problem durch alle juristischen Instanzen durch ist und nun nicht mehr gelöst werden kann – zumindest nicht im Sinn der Betroffenen. Damit wollen sich manche nicht abfinden. Sie sitzen im großen Saal des Dresdner Hygienemuseums; mehr Frauen als Männer, mehr Alte als Junge. In den Gesichtern viel Unmut und Zorn und eine große Müdigkeit nach den vergeblichen Kämpfen. Mancher Kampf dauert seit zwanzig Jahren. Da geht es um Geld, um Rentenzahlung und damit um die Anerkennung von Lebensleistung.

Auf einem Podium in der Mitte sitzt Sachsens Gleichstellungsministerin Petra Köpping mit wechselnden Gästen. Seit Monaten eilt sie von einem Industriemuseum zum nächsten. Jedes war mal ein Großbetrieb. Sie sammelt die Stimmen jener, die sich seit der Nachwendezeit ungerecht behandelt und nicht mehr gehört fühlen. „Die Politik hofft wohl auf eine biologische Lösung“, sagt einer ironisch. „Dann werden jene bestraft, die die Wende mit herbeigeführt haben.“ Köpping widerspricht. „Eine biologische Lösung wird es nicht geben. Denn der Frust geht an die nächste Generation.“

Bei 17 Berufsgruppen, sagt sie, gibt es eine Lücke im Rentenrecht. Bergleute aus der Braunkohleveredlung bekamen die selbst finanzierten Zusatzleistungen gestrichen, weil sie nicht unter Tage gearbeitet hatten. Balletttänzer, die in der DDR nach Berufsende finanziell abgesichert waren, müssen nun sehen, wo sie bleiben. Die besondere Alterssicherung ostdeutscher Eisenbahner wurde durch das Rentenüberleitungsgesetz liquidiert.

Bis solche Beispiele konkret zur Sprache kommen, dauert es fast eine Stunde. Am Tresen trocknen die Kuchenstücke. Ein Bandsänger singt, sein Vater spielt Cello. Er hat die Gruppe Bayon gegründet. Das ist fast ein halbes Jahrhundert her. Es ist alles sehr lange her.

Doch das Ungerechtigkeitsgefühl hält sich, da kann sich der Chemnitzer Ex-Professor Hartmut Enderlein richtig in Rage reden. Er spricht für rund 900 emeritierte Wissenschaftler im Osten. Sie wurden zwar mit der politischen Wende nicht entlassen wie andere, doch sie waren zu alt, um noch verbeamtet zu werden, und zu jung für Zusatzleistungen. „Unsere Altersbezüge liegen bei durchschnittlich 30 Prozent unseres früheren Einkommens“, sagt Enderlein. Er nennt das entwürdigend. Mit einem Verein will er Abhilfe schaffen, sieht aber seit Jahren die Verantwortung zwischen Land und Bund hin und her gereicht. „Was ist das? Eine verlogene Strategie? Unvermögen? Ein Verschiebebahnhof?“ Der Ex-Professor explodiert fast. In der Antwort taucht das Wort „ausgeurteilt“ wieder auf. Als sei das letzte Wort per Gesetz hier ebenso gesprochen wie bei geschiedenen Ostfrauen, die viel schlechter gestellt sind als Westfrauen. Die Chefin des Landesfrauenrats hält dagegen: „Ein politischer Wille kann viel bewegen. Wenn er will.“

Petra Köpping beteuert, dass sie den Willen hat. Zur Unterstützung sitzen die Minister Eva-Maria Stange, Martin Dulig und aus Thüringen Wolfgang Tiefensee mit am Tisch. Alle vertreten die SPD, denn rein zufällig findet eine solche Versammlung Unzufriedener kurz vor der Bundestagswahl nicht statt. Die Einladung hat einen Zweck. Deshalb wird auch nicht darüber geredet, dass die SPD schon mal mit dem Thema befasst war. Im Deutschen Bundestag lehnte sie 2009 jeden einzelnen Antrag der Linken auf Rentengerechtigkeit für Ostdeutsche ab; für Tänzer, Bergleute, Eisenbahner, Professoren und alle anderen betroffenen Berufsgruppen.

Künftig sollen die Lücken im System gestopft werden aus einem Geldkästel, das im Januar bei Petra Köpping noch „Härtefallfonds“ hieß. Jetzt spricht sie von „Gerechtigkeitsfonds“. Klingt doch viel besser. Es ist erst mal nur eine Idee.