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Der ewige Präsident

Seit sieben Jahren ist Andreas Ritter bei Dynamo im Amt. Er will gerne weiter als Vermittler im Hintergrund wirken.

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© Robert Michael

Von Daniel Klein

An den Wänden seines Büros in Freital dominiert Gelb. Die gleiche Farbe hat das Innenfutter seines Sakkos, außen ist es schwarz. In die Brillenbügel sind Dynamo-Logos integriert. Andreas Ritter trägt seine Sympathien offen zur Schau. Es wirkt fast zu extrovertiert, zu dick aufgetragen für einen Mann, der sich nicht so gern in den Vordergrund schiebt.

Dabei ist genau das seine Aufgabe. Als Präsident von Dynamo Dresden, so steht es in der Satzung, repräsentiert er den Verein. Und das macht Ritter schon seit sieben Jahren. Kein Vorgänger hat es in diesem Amt länger ausgehalten – zumindest nach der Wende. Am Samstag könnte er bei der Mitgliederversammlung für drei weitere Jahre gewählt werden, wobei der Konjunktiv in seinem Fall überflüssig ist. Bei den beiden vergangenen Abstimmungen erreichte der Zuspruch beinahe das Niveau von SED-Parteitagen, lag bei mehr als 90 Prozent.

Dass er sich erneut zur Wahl stellt, stand lange fest, überlegen musste er nicht. Kontinuität ist eines seiner Lieblingswörter, wenn es um Dynamo geht. Und die möchte er auch persönlich verkörpern. Als er vor sieben Jahren ins Amt rutschte, war sein Vorgänger zurückgetreten, die Geschäftsführer wechselten beinahe so häufig wie die Gegner auf dem Rasen. „Wilde Zeiten waren das“, sagt der 55-Jährige und erzählt zwei Anekdoten. Bei einem Termin vor dem DFB-Sportgericht nach Ausschreitungen beim Pokalspiel in Dortmund vertrat er Dynamo, weil es zu dieser Zeit keinen Geschäftsführer gab und von den Aufsichtsräten „keiner nach Frankfurt“ wollte. „Damals war ich auch zwei Tage in der Geschäftsstelle, weil niemand von der Führung mehr da war.“ Wilde Zeiten eben, zurück will er die nicht, sondern Kontinuität – auf allen Ebenen.

Also auch auf der sportlichen. Sein Rat zur Krise: „Wir müssen versuchen, die alten Reflexe auszuschalten und Geduld aufbringen, damit die sportliche Führung Dinge verändern kann.“ Keine Hektik, keine Kurzschlussreaktionen – das beschreibt auch die Person Andreas Ritter ganz gut.

Sein Ehrenamt bei Dynamo ist eines mit sehr überschaubaren Kompetenzen. Er und seine beiden Stellvertreter kümmern sich um die inzwischen 21 000 Mitglieder, die Satzung, die Traditionspflege, das Vereinsleben, zuletzt um ein Leitbild, das am Samstag präsentiert wird. Wirklich entscheiden, etwa über den Etat oder den Trainer, kann das Präsidium nicht. „Ich finde es gut so, wie es jetzt ist“, sagt Ritter und dass er stolz sei, der Präsident eines mitgliedergeführten Vereins zu sein – „mit allen Ecken, Kanten und Konflikten“.

Dass er sich schon so lange in diesem Amt gehalten hat, liegt sicher auch an seiner Eigenschaft, Gegenwind aushalten zu können, ohne zu schmollen oder zurückzuschießen. Nach den Vorfällen in Karlsruhe, als Hunderte Anhänger in Armee-Look und mit Kriegs-Rhetorik zum Stadion zogen, zündelten und einen Kiosk überfielen, stellte sich Ritter in der Halbzeitpause des nächsten Heimspiels auf den Rasen und verlas eine Erklärung, in der er die Ausschreitungen scharf kritisierte. Zu verstehen war er kaum, weil ihn ein Großteil des K-Blocks auspfiff. „Damit kann ich umgehen“, sagt er. „Ich sage meine Meinung. Wer die nicht teilt, darf das auch zeigen.“

Ritter ist ein Präsident ohne Macht, aber nicht ohne Einfluss. Wer in diesem Verein, bei dem Emotionen immer etwas höher ausschlagen als bei anderen, zwischen den verschiedenen Meinungen und Strömungen im Hintergrund vermitteln und ausgleichen kann, übernimmt eine wichtige Aufgabe. Im modernen Arbeitsdeutsch nennt man das soziale Kompetenz.

Als Ritter in die vierte Klasse ging, hieß eine Arbeitsgemeinschaft „Junge Sanitäter“. Er habe auf den Tag hingefiebert, an dem er endlich zum ersten Mal mitmachen durfte. Vorher schon hatte er sich mit einer Freundin eine Sanitätstasche gebastelt. „Es war einfach der Wunsch da, anderen helfen zu wollen“, erinnert er sich.

Der Freitaler hat Maschinen- und Anlagenmonteur gelernt, in diesem Beruf aber nur kurz gearbeitet. Beim Deutschen Roten Kreuz kümmerte er sich bald um die Aus- und Weiterbildungen, inzwischen ist er der Vorstandsvorsitzende des DRK-Kreisverbandes Freital, damit verantwortlich für 800 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter sowie das operative Geschäft. Büros hat er in Dresden und Dippoldiswalde, am häufigsten sitzt er in Freital hinterm Schreibtisch, auf dem ein Ritter steht und ein in Glas gefasstes Dynamo-Emblem.

Fußball ist sein Hobby, das andere kann man sich in einer Vitrine im Besprechungsraum ansehen. Die Sammlung von alten Fotoapparaten aus Freitaler und Dresdner Produktion wird jedoch nicht mehr erweitert. „Keine Zeit mehr“, sagt der Hobbyfotograf im Ruhestand. Daran ist Dynamo nicht unschuldig. „In Wochenstunden kann ich das nicht beziffern, aber es ist gegenüber meinen ersten Amtsjahren auf jeden Fall weniger geworden.“

Eine Frau, die für Sponsorentermine und Fanclubbesuche Verständnis aufbringen muss, braucht er trotzdem. „Die habe ich, sie steckt viel zurück, dafür bin ich sehr dankbar“, sagt er. Anfangs habe sich seine Frau überhaupt nicht für Fußball interessiert, inzwischen müsse sie bei engen Spielen ihren Platz auf der Tribüne verlassen. „Sie hat dann einen Puls von 130.“

Vier Kinder hat Ritter, zwei von ihnen brachte seine Frau mit in die Ehe. Eine Tochter gehörte bis vor Kurzem bei Dynamo-Heimspielen zum Innenraumteam, macht jetzt eine Babypause. Eine andere ist Geschäftsführerin beim Handball-Zweitligisten HC Elbflorenz. „Ich habe den Virus also ein bisschen vererbt“, sagt Ritter.

Die Dynamo-Mitglieder tagen am Samstag in der neuen Heimstätte der Handballer. Dann wird Ritter vermutlich mit mehr als 90 Prozent wiedergewählt. Sein Erfolgsgeheimnis? „Ruhe bewahren, wenn es hektisch wird.“