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Der Bildermacher vom Sonnenstein

Mit seiner Kamera dokumentiert Christoph Römer den Aufbau des Stadtteils. So entstand ein ziemlich einmaliger Fundus.

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© Dirk Zschiedrich

Von Thomas Möckel

Pirna. Christoph Römer, 86, steht vor einem Foto, auf dem Bild ist in Schwarz-Weiß eine Baustelle zu erkennen mit Kränen und der Bodenplatte eines Neubaublocks, sie war einst der Grundstock für das Haus am Varkausring, in dem Römer heute noch wohnt. Er hat das Foto Ende der 1960er-Jahre aufgenommen, ihm und seiner Familie war eine Wohnung auf dem Pirnaer Sonnenstein zugesagt worden, und weil Römer neugierig war, fuhr er schon vorher mal hin, die Kamera im Gepäck. Damals ahnte er noch nicht, was er mit seiner Neugier und seinem Fotoapparat schuf.

Die ehemalige Schule „Max Zimmering“ steht schon lange nicht mehr.
Die ehemalige Schule „Max Zimmering“ steht schon lange nicht mehr. © Christoph Römer
Das Foto zeigt Römers Familie vor ihrem Block am Varkausring.
Das Foto zeigt Römers Familie vor ihrem Block am Varkausring. © Christoph Römer

Aus Römers Bilder-Leidenschaft entstand ein beeindruckendes Stück Zeitgeschichte, er dokumentierte mit seiner Kamera den Aufbau des neuen Pirnaer Stadtteils Sonnenstein, in dem einmal ein Viertel von Pirnas Bevölkerung leben sollte. Zunächst knipste er, der sich selbst nur ungern fotografieren lässt, für sein privates Archiv. Die Bestände, sagt Römer, hat er nie nachgezählt, aber sein Fundus umfasst mehrere Tausend Bilder, alle akribisch sortiert in Umschlägen und Kisten. Sie angesichts der Masse in Alben zu sortieren, war unmöglich.

Nun, bald ein halbes Jahrhundert nach den ersten Aufnahmen, wird Römers Archiv öffentlich, zwar nur zu einem kleinen Teil, aber die Arbeiten lassen erahnen, wie auf einer grünen Wiese Wohnungen für Tausende Menschen entstanden. Die Städtische Wohnungsgesellschaft Pirna (WGP), Vermieter von Christoph Römer, stieß eher zufällig auf seinen Bilderschatz, nun stellt sie 30 Aufnahmen im WGP-Kundenzentrum im Haus Remscheider Straße 1 a aus.

Für die WGP haben die Aufnahmen einen unschätzbaren Wert. Das Unternehmen, sagt Sprecher Sören Sander, hatte nicht ein Foto von der Entstehung des Neubaugebietes im Bestand, obwohl es auf dem Sonnenstein die meisten Wohnungen hat. Das Problem: Der Wohnungsbau zu DDR-Zeiten wurde meist nur bei Wohnungsgenossenschaften fotografisch dokumentiert. Nicht aber bei jenen der kommunalen Wohnungsverwaltung, zu der damals die meisten der Sonnensteiner Quartiere gehörten. Inzwischen hat die WGP viele der Bilder digitalisiert und für sich archiviert, ein Teil davon wurde für die Ausstellung vergrößert. „Ich bin erstaunt, dass man aus meinen Fotos so etwa Feines machen kann“, sagt Römer.

Seine Fotoleidenschaft hat der rüstige Senior einst von seinem Vater geerbt, der selbst oft mit der Kamera unterwegs war. Römer, in Leipzig geboren, in Fischbach aufgewachsen, Abitur 1950 in Radeberg, wollte nach der Schule erst einmal etwas Praktisches machen. Obwohl bereits alle Lehrstellen besetzt waren, nahm ihn das Kunstseidenwerk in Pirna doch noch als Lehrling auf, Römer wurde Chemielaborant. Von 1955 bis 1958 dann studierte er „Analytische Chemie“ in Köthen, wurde Ingenieur und arbeitete bis zu Rente im Zentrallabor der Kunstseide.

Römer wohnte zuerst zur Untermiete in Pirna, dann in Heidenau, als die Familie wuchs, wurde ihm eine Wohnung in Copitz-West offeriert, mit der es dann doch nicht klappte. Zehn Jahre später erst, 1969, bezog die Familie ein Neubauquartier am Varkausring, bis heute Erstbezug, noch immer dieselbe Dreizimmer-Wohnung ganz oben, nur das Treppensteigen fällt zunehmend schwerer. Römer ist der Älteste im Haus. „Am Sonnenstein hängt viel Herzblut, ich wollte nie hier weg“, sagt er.

Schon zeitig legte sich Römer eine Praktika-Spiegelreflexkamera zu, sie hielt lange durch, mit ihr machte er die meisten Aufnahmen. Römer fotografierte wachsende Neubaublöcke, Schulen, Kindergärten, unfertige Straßen, Kräne, Spielplätze, Fernwärmetrassen.

Oft auch sind seine Frau und die beiden Kinder auf den Bildern. Lange fotografierte Römer nur in Schwarz-Weiß, Filme und Fotos entwickelte er im heimischen Badezimmer, das er häufig in eine Dunkelkammer verwandelte. Wie das alles funktionierte, hatte er während der Berufsausbildung bei einem Chemielehrgang in der Filmstadt Wolfen gelernt.

Heute nun, im Spätherbst seines Lebens, entwickelt Römer nicht mehr selbst, kann aber vom Fotografieren nicht lassen. Er lichtet inzwischen alles mit einer digitalen Kompaktkamera ab, noch immer erstaunt darüber, wie viele Fotos auf die Speicherkarte passen und dass er nicht mehr darauf achten muss, wann der Film voll ist. Derzeit dokumentiert er den Abriss der Gaststätte „Glück auf“ und den Bau des neuen Wohngebietes „Mädelgraben“.

Die Fotoausstellung kann zunächst bis zum Jahresende im WGP-Kundenzentrum, Remscheider Straße 1 a, dienstags und donnerstags jeweils von 9 bis 12 Uhr und 14 bis 18 Uhr besichtigt werden.