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Der alte Mann und die neue Lockerheit

Kombinierer Björn Kircheisen startet in eine Saison, in der er nichts mehr zu verlieren hat.

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© Eibner-Pressefoto

Von Michaela Widder

Übers Alter macht man keine Witze. Björn Kircheisen, mit 34 Jahren Kombinierer im deutschen Team, ist da jedoch entspannt. Er hat sogar mächtig Spaß, als er versuchte, mit Olympiasieger und Zimmerkumpel Eric Frenzel beim Stammitaliener einen Seniorenteller in Amtssprache zu bestellen. „Mezza cartuccia“, sagte Kircheisen selbstbewusst, doch der Wirt schaute verwirrt. Die Worte bedeuten zwar übersetzt „halbe Portion“, sind aber als Metapher zu verstehen, was der schmale Italiener in den falschen Hals bekam.

Am Ende gab es noch den Seniorenteller für die Nordischen Kombinierer. Halbe Sachen? Gibt es nur auf dem Teller. Was sein Trainingspensum angeht, konnte Kircheisen im Sommer „zu hundert Prozent“ absolvieren. Der Johanngeorgenstädter startet an diesem Freitag im finnischen Ruka bereits in seine 17. Weltcupsaison – und wirkt gelöster als je zuvor. „Ich habe nichts mehr zu verlieren, kann nur noch gewinnen“, sagt er: „Ich möchte den Winter genießen und alles voll aufsaugen.“

Das mag nach Spaßsaison klingen, doch es ist vielmehr die neue Gelassenheit, die Kircheisen versprüht. Wegen seiner Medaillensammlung hatte er jahrelang den ungeliebten Beinamen Silbereisen. „Mich hat das schon aufgeregt, immer wieder an einem Erfolg gemessen zu werden, den du nicht schaffst“, erzählt Kircheisen im Interview mit der Sächsischen Zeitung. „Ich habe doch eine gute Karriere gemacht, viele Medaillen geholt. Es hat halt nicht sollen sein.“ Bis zum 26. Februar dieses Jahres, als er mit der Mannschaft endlich sein erstes WM-Gold gewann.

„Seitdem habe ich schon das Gefühl, es geht alles ein bisschen einfacher.“ Zuvor habe er sportlich zwei schwere Jahre erlebt, sagt er, „wo jeder gedacht hat: Jetzt habe ich mich abgeschrieben“. Die WM in Falun war für den dreimaligen Olympia-Silbermedaillengewinner der Tiefpunkt. Als das deutsche Quartett zum ersten Mal seit 1988 bei einem Großereignis wieder Gold gewann, musste der Routinier als Ersatzmann zuschauen. „Das hat mir wehgetan.“

Aufgehört ist schnell

An ein Karriereende hat Kircheisen aber nicht gedacht. „Das wurde mir eher von außen angetragen, aber nicht von den Trainern, die haben an mir festgehalten und ich habe mir gesagt: Aufgehört ist schnell. So einen Comeback-Käse mache ich nicht.“ Stattdessen versucht er, seine Einstellung zu ändern und seinen eigenen Weg zu finden. „Ich wollte nicht mehr alles ganz so verbissen sehen und habe festgestellt, dass ich mit der Leichtigkeit viel mehr bewegen kann als mit dem Überehrgeiz.“

Für Kircheisen heißt das auch, Einheiten wegzulassen, mehr Pausen als früher einzulegen. Seit vorigem Jahr besucht er nicht mehr jeden Lehrgang, trainiert mehr in seiner Wahl-Heimat an der Polizeischule in Bad Endorf. „Wenn es mal so ist, dass ich keinen Sport mache, ist das auch okay. Mal spazieren gehen mit meiner Freundin bringt mir mehr als noch mal anderthalb Stunden Training“, sagt er.

Freundin Saskia, die er beim Radfahren kennengelernt hat, spielt eine wichtige Rolle in seinem Leben. „Sie gibt mir unheimlich viel Rückendeckung. Es dreht sich bei uns auch nicht immer alles um Sport.“ Mit Haus und Garten habe er auch eine andere schöne Aufgabe.

Wie lange sein Fokus noch auf dem Leistungssport liegt, verrät er nicht. „Ich habe für mich festgelegt, dass ich vorher nicht festlege, wann ich aufhöre.“ Doch es deutet viel darauf hin, dass Kircheisen nach den Winterspielen in Pyeongchang seine Karriere beenden wird. „Wenn ich merke, dass ich nicht mehr konkurrenzfähig bin, ist von jetzt auf gleich Schluss.“ Und von einer Abschiedstournee hält er nichts.

Natürlich spürt der Sachse, dass die Spritzigkeit mit dem Alter etwas verloren geht. „Nichtsdestotrotz langt es immer noch für Medaillen. Alter schützt vor Leistung nicht.“ Das große Ziel für den WM-Dritten von der Normalschanze ist seine fünfte Olympia-Teilnahme. „Wenn man das in unserem Team geschafft hat, weiß man, dass man leistungsfähig ist. Dann kämpfe ich auch um Medaillen“, sagt er.

Bis Weihnachten will Kircheisen am liebsten die Norm geschafft haben. „Dann kann ich mal einen Weltcup auslassen.“ Weil er weiß, weniger ist mehr. Nicht nur beim Seniorenteller.