Merken

Dekra kauft Lausitzring

Die Prüforganisation Dekra kauft den Lausitzring und will hier die Zukunft des Autofahrens testen. Das hat Folgen.

Teilen
Folgen
© dpa

Tilo Berger

Klettwitz. An einem sonnigen August-Sonntag des Jahres 2000 schwenkte der damalige brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) auf dem Lausitzring die Startflagge. Für mehr als 155 Millionen Euro, davon rund 120 Millionen aus der brandenburgischen Landeskasse, war auf einem ehemaligen Tagebaugelände bei Klettwitz die damals modernste Renn- und Teststrecke Europas entstanden. Mit mehreren Pisten und ringsum Plätzen für mehr als 200 000 Zuschauer.

Die neuen Besitzer wollen den Lausitzring umbauen.
Die neuen Besitzer wollen den Lausitzring umbauen. © Rainer Weisflog
So hatte sich das Manfred Stolpe zur Eröffnungsfeier 2000 nicht vorgestellt. Wird die Tribüne jemals wieder so gut gefüllt sein? Die neuen Besitzer wollen den Lausitzring umbauen. So hatte sich das Manfred Stolpe zur Eröffnungsfeier 2000 nicht vorgestellt
So hatte sich das Manfred Stolpe zur Eröffnungsfeier 2000 nicht vorgestellt. Wird die Tribüne jemals wieder so gut gefüllt sein? Die neuen Besitzer wollen den Lausitzring umbauen. So hatte sich das Manfred Stolpe zur Eröffnungsfeier 2000 nicht vorgestellt © dpa

An einem trüben Juli-Montag des Jahres 2017 schwenkte Josef Meier, bis Donnerstag vergangener Woche Mitgesellschafter des Lausitzrings, ein Blatt Papier mit ein paar Notizen, die er aber gar nicht braucht. Herzblut tropfte aus seiner Stimme, als er sagte: „Rennsport steht hier künftig nicht mehr an erster Stelle. Ich hoffe auf eine sichere Zukunft für den Lausitzring.“ Die versprachen im nächsten Atemzug Manager der Prüforganisation Dekra. Ihnen gehört seit vergangenem Donnerstag das mehr als 500 Hektar große Gelände mit allem Drum und Dran.

Zwischen dem lachenden Ministerpräsidenten und dem traurigen Ex-Chef lagen 17 Jahre mit Höhepunkten und Tiefschlägen. Auf dem Lausitzring gastierten US-amerikanische Rennserien, die Strecke wurde zu einer festen Adresse der Deutsche Tourenwagen Masters (DTM), Flugsportler und Motocrossfahrer kamen zu Weltmeisterschaften nach Klettwitz. Hier rockten AC/DC und Herbert Grönemeyer. Aber die Veranstaltungen spülten weniger Geld in die Kassen als anfangs erhofft. Der große Traum aller bisherigen Betreiber, die Königsdisziplin Formel eins in die Lausitz zu holen, erfüllte sich nicht. Zwischendurch gab es eine Insolvenz und 2009 einen mühsamen Neustart mit fünf Motorsport-Enthusiasten aus Bayern an der Spitze. Seitdem kamen mehr als drei Millionen Besucher auf den Lausitzring, die Region profitierte von einem Umsatz von mehr als 200 Millionen Euro, bilanzierte Josef Meier.

Zwei Grübler, ein Ergebnis

Jetzt ist die Strecke in die Jahre gekommen und bräuchte eine Verjüngungskur. Josef Meier bezifferte gestern den nötigen Aufwand auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Dieses Geld können die aus Rosenheim stammenden Ex-Inhaber des Lausitzrings nicht aufbringen. Die brandenburgische Landesregierung signalisierte zwar Hilfsbereitschaft, wollte für den Ring aber nicht wieder so tief in die Tasche greifen, wie Meier sagte: „Es war der zuständigen Politik nicht möglich, der Betreibergesellschaft einen ausreichenden Umfang an Unterstützung für die größte Sportanlage Brandenburgs verbindlich zuzusagen beziehungsweise zur Verfügung zu stellen.“

Es war Ende vergangenen Jahres, als die Bayern außer über dem Veranstaltungskalender für 2017 auch über der Frage brüteten, wie es finanziell weitergehen soll. Zur selben Zeit rauchten auch ein paar Hundert Meter weiter die Köpfe – bei der Dekra. Die Prüforganisation betreibt seit 2003 direkt neben dem Lausitzring ein Technologiezentrum und ein eigenes Test-Oval. Unter anderem erprobt die Dekra hier Prototypen neuer Fahrzeuge. Lange bevor diese in Serie gebaut werden.

Für die Dekra-Chefs stand Ende 2016 fest, dass sie auch in das zu erwartende Geschäft mit selbstfahrenden Autos einsteigen wollen. Sie würden dafür ein Testgelände brauchen, wo die fahrerlosen Autos alle Situationen vorfinden, die ihnen im Straßenverkehr auch passieren können: also andere Fahrzeuge, zuweilen unberechenbare Fußgänger, Kreuzungen, Ampeln, Kreisverkehre, und, und, und. Wie die Fahrzeuge auf diese Situationen reagieren und wie diese Reaktionen ausgefeilt werden können, das will die Dekra testen. Das Gelände dafür wollten die Dekra-Leute möglichst vor ihrer Klettwitzer Haustür wissen, sagte gestern Vorstandsmitglied Clemens Klinke. Das vorhandene Testoval umzubauen, wäre aber zu aufwendig. Wie wäre es mit dem Lausitzring? Den Dekra-Testern war keinesfalls entgangen, dass die Nachbarn vor einem Investitionsstau standen. „Wir hatten ein Auge auf den Ring geworfen“, räumte Dekra-Manager Klinke gestern ein. Im Dezember suchten die Fahrzeugprüfer dann das Gespräch mit den Lausitzer Bayern.

„Wir waren zuerst überrascht“, erinnerte sich Josef Meier. „Dann gab es Gespräche, danach den Entschluss, um die Anlage zukunftsfähig zu machen.“ Dies sei für die passionierten Motorsportler ein schwerer Schritt gewesen. Am Donnerstag wurde nun der Kaufvertrag unterzeichnet. Die bisherigen Chefs konnten mit den neuen aushandeln, dass sie einen Großteil der jetzt 48 Mitarbeiter übernehmen. Wie viele genau, steht noch nicht fest. Klinke stellte gestern auch neue Arbeitsplätze in Aussicht. „Wir werden hier Ingenieure brauchen, Mechaniker und einiges mehr.“

Investitionen über 30 Millionen Euro

Zuvor aber wollen die neuen Inhaber das Areal umbauen. Geisterstädte sollen entstehen, in denen die fahrerlosen Autos untereinander kommunizieren. Es soll Strecken geben, die von der Autobahn bis zur Dorfstraße so ziemlich alles simulieren. In einem ersten Schritt will die Dekra in Klettwitz mehr als 30 Millionen Euro investieren. Das soll 2018 passieren. Zuvor aber wird noch der Veranstaltungskalender für 2017 abgearbeitet. Unter anderem kommen bis Oktober die Superbike-Weltmeisterschaft und Red Bull Air Race, die Formel eins der Lüfte, in die Lausitz. Das traditionelle Oktoberfest zum Saisonabschluss feiern die bisherigen und die neuen Betreiber gemeinsam. Ab 1. November hat auf dem Lausitzring endgültig die Dekra das Sagen.

Auf die Frage der SZ, ob es auch künftig Motorsportveranstaltungen im größten Sportkomplex zwischen Berlin und Dresden geben wird, antwortete Dekra-Manager Klinke mit einem Jein: „Wir selbst werden nicht als Veranstalter in Erscheinung treten. Aber wenn jemand hier ein Rennen veranstalten möchte und sich das Anliegen mit unserem Konzept verträgt, verweigern wir uns nicht. Die Dekra steht zum Motorsport.“ Was mit den Zuschauerrängen und der für 120 000 Menschen gebauten Haupttribüne passiere, sei noch nicht entschieden. Vorerst seien die Anlagen als Sichtschutz nützlich, denn was da getestet werden soll, dürfe nicht immer jeder sehen.

Kommunalpolitiker reagierten mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf den Lausitzring-Verkauf. Der Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) sprach von einem Signal für den Strukturwandel in der Lausitz und hofft, dass das Dekra-Testzentrum die in der Lausitz ansässige Universität und Hochschulen einbindet. Andererseits sei der drohende Verlust von Rennsportveranstaltungen ein „Einschnitt für den Tourismus und das Marketing der Region, der nur schwer auszugleichen sein wird“.