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„Das war eine krasse Umstellung“

Marcel Franke musste Dresden erst verlassen, um nun zu Dynamo zurückzukommen – ein Gespräch auch über Umwege.

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© Robert Michael

Marcel Franke, war es im Nachhinein vielleicht sogar gut so, dass Sie Dynamo 2013 mangels Perspektive verlassen mussten?

Irgendwie schon. Mit 18, 19 hätte ich sicher gesagt: Wenn ich die Chance kriege, bei Dynamo als Profi Fuß zu fassen, bleibe ich gerne mein Leben lang hier. Aber so war es eben nicht. Ich war ein junger Spieler, ein Dresdner Junge, habe bei meinen Eltern gewohnt. Einfach mal den Schritt raus zu machen, auf mich alleine gestellt zu sein im Alltag, das war unheimlich wichtig für meine Persönlichkeitsentwicklung.

Dabei hatten Sie bei Dynamo 2012 schon zweite Liga gespielt …

Ja, gegen Bochum im defensiven Mittelfeld. Ich glaube, so schlecht war ich nicht, aber wir haben 0:3 verloren, der Trainer musste gehen. Danach habe ich vom Sportdirektor (Steffen Menze/d. A.) direkt das Zeichen gekriegt, wie er über mich denkt. Es sollte einfach nicht sein. Ich sage ja nicht, ich hätte damals Stammspieler sein müssen. Es ging um eine realistische Chance und einen anderen Umgang miteinander. Bei Dynamo hatte man mir damals das Gefühl vermittelt: Du kannst froh sein, dass du dabei bist. Ich wusste nicht, ob ich Einsatzchancen bekomme. Deshalb musste ich einen anderen Weg gehen.

Der hat Sie im Sommer vorigen Jahres nach England geführt. Wie kam der Wechsel zu Norwich City zustande?

Mein Vertrag in Fürth lief noch ein Jahr, ich hatte eine gute Rückrunde gespielt. Es gab lose Gespräche mit Bundesligisten. Doch dann meinte mein Berater: Herr Farke, deutscher Trainer bei Norwich, würde gerne mal mit dir telefonieren. Es war ein gutes Gespräch, danach bin ich mit meiner Frau hingeflogen, habe es mir angeschaut. Und ich dachte: Mit meiner Statur, meiner Körperlichkeit müsste ich gut nach England passen. Und, wer weiß, vielleicht ist es auch eine Chance. Man sieht das Beispiel Huddersfield mit Michael Hefele, wie schnell es weiter hoch gehen kann.

Bei einem Wechsel nach England liegt der Verdacht nahe, das Geld sei der ausschlaggebende Faktor. Stimmt das?

Wenn ich in die Bundesliga gewechselt wäre, hätte ich auch gut verdient. Entscheidend war, dass ich mich bei einem deutschen Erstligisten hätte hinten anstellen müssen. In Norwich habe ich sofort gespielt. Davon konnte ich nicht ausgehen, aber die Wahrscheinlichkeit war größer.

Und was ist dann passiert?

Die ersten Spiele liefen weniger gut. Wir haben gegen Aston Villa vier Stück bekommen, in Millwall auch. Logisch, dass der Trainer etwas ändert. Und wie es so ist im Fußball: ich raus, zehn Spiele ungeschlagen. Ich saß manchmal nur auf der Tribüne, das war schwer zu akzeptieren. Aber wenn ich sehe, die Jungs machen das super, stelle ich keine Ansprüche, sondern freue mich mit ihnen. Ich habe im Training immer Gas gegeben. Wenn man trotzdem auch in einer schlechten Phase keine Chance bekommt, macht man sich Gedanken.

Hatten Sie den Gedanken, zu Dynamo zurückzukehren, im Hinterkopf?

Ja, ich habe mit Papa und der ganzen Familie darüber geredet, dass Dynamo immer ein Ziel für mich bleiben wird. Für mich steht fest, dass ich nach meiner Karriere wieder in Dresden wohnen werde.

Gab es denn vorher schon mal Kontakt?

Als Dynamo vorige Saison in Fürth spielte, bat mich Ralf Minge um mein Trikot für die Nachwuchsabteilung und fragte im Spaß: Wann kommst du wieder nach Dresden?

Und wann wurde es ernst?

Im Oktober rief er das erste Mal an. Ich kannte seine Nummer nicht, plötzlich meldet sich Ralf Minge: Wir haben deine Situation beobachtet, wenn es eine Möglichkeit gäbe … Ich dachte nicht daran, gleich wegzurennen. Im November meldete er sich wieder. Meine Antwort: Ich will mich hier durchbeißen. Im Dezember habe ich mit dem Trainer bei Norwich gesprochen und hatte nicht das Gefühl, dass meine Chancen in der Rückrunde steigen würden.

Trotzdem hat Norwich Sie nur für ein halbes Jahr ausgeliehen, Dynamo keine Kaufoption eingeräumt. Wie gehen Sie mit dieser Planungsunsicherheit um?

Wir sind jetzt erst einmal hier. Ich habe größten Respekt vor meiner Frau Jenna, weil sie das mitmacht. Sie studiert Eventmanagement, hat in der Branche in Fürth schon gearbeitet, ist dann mit nach England gekommen. Und nun Dresden. Aber Dynamo war für mich sofort eine Option. Ab Sommer habe ich wieder zwei Jahre Vertrag in Norwich und werde gucken, wie der Verein plant. Ich bin nach England gegangen, um dort zu spielen, aber sollten sie rumdrucksen … Eines habe ich gemerkt: Auf der Tribüne zu sitzen, ist nichts für mich, damit kann ich nichts anfangen.

Haben es Innenverteidiger bei der härteren Spielweise in England schwerer?

Das war eine krasse Umstellung, ich habe anfangs Fehler gemacht. Vor dem ersten Kopfballduell dachte ich: Der ist zehn Zentimeter kleiner, den fresse ich auf! Doch der hat mich kurz mal zur Seite gedrückt. Von da an wusste ich: Hier geht’s anders zu. Es fliegen dir schon mal die Ellenbogen um die Ohren, ohne dass der Schiedsrichter auch nur ansatzweise die Pfeife in den Mund nehmen würde. Manchmal knallt’s, in Deutschland wäre das eine Rote Karte – und der Referee zeigt: Hopp, weiter geht’s!

Ist die Umstellung zurück einfacher?

Du musst wieder ein bisschen vorsichtiger agieren, hier lassen sich die Stürmer bei geringstem Körperkontakt oft clever fallen.

Was hat sich – außer der Mannschaft – im Verein verändert?

Wenn ich alleine die Person Ralf Minge nehme. Als ehemaliger Spieler ist er eine Identifikationsfigur. Wie er sich um mich gekümmert und reingehangen hat, das war überzeugend. Und der Trainer. Damals – ich will nicht sagen, es war nur auf Zufall gebürstet –, aber jetzt wollen wir Fußball spielen, haben eine klare Spielidee.

Was genießen Sie in der Heimat?

Die Nähe zur Familie, meine Eltern können sich wieder jedes Heimspiel im Stadion angucken. Als ich ihnen sagte, dass die Chance besteht, nach Dresden zu kommen, war die Freude riesig. Ich kann mich öfter mit Freunden treffen und meiner Frau die Stadt nahebringen, nicht nur zu Weihnachten.

Sächsisch haben Sie sich bewahrt?

Wenn man ein Interview von sich hört, denkt man manchmal: Wie redest du? Aber ich schäme mich nicht dafür. Ich habe das drin und würde nie versuchen, es zu verstecken. Ich bin nun mal von hier.

Und lernen Sie weiter Englisch?

Das lasse ich erst mal ruhen. Dort waren ein deutscher Betreuerstab und einige deutsche Spieler. Aber auch mit den Engländern konnte ich mich gut unterhalten, auch ohne dass ich einen Aufsatz auf Englisch schreiben könnte.

Das Gespräch führte Sven Geisler.