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„Das Stadtbild gehört uns allen“

Ein Graffitisprayer aus Dresden erzählt, warum er mit Vorliebe illegal Bahnen und Wände besprüht und was das für ihn bedeutet. Die gesellschaftliche Ablehnung kann er allerdings nicht nachvollziehen.

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© Sven Ellger

Von Theresa Hellwig

Ein Spaziergang durch die Neustadt mit Stefan. „POIS“ – so oder irgendwie ähnlich steht es da an einer Tür. Stefan deutet auf den Schriftzug: Blasse, fliederfarbene Farbe auf dunkelbraunem Holz. „Das gefällt mir jetzt nicht so“, sagt der Dresdner. „Giftgrün wäre cooler.“ Die bekannten „LAUCHS“-Schriftzüge, die über die gesamte Stadt verteilt sind und viele Gemüter erhitzten, mag er auch: „Da sind Swing und Emotionen drinnen.“

Der in Dresden berüchtigte Sprayer „Lauchs“ ist einer von Stefans Vorbildern.
Der in Dresden berüchtigte Sprayer „Lauchs“ ist einer von Stefans Vorbildern. © Sven Ellger

Stefans Blick auf die Graffiti ist kein ungeschulter. Im Gegenteil. Beruflich ist er zwar Verkäufer. Fühlt er sich jedoch unbeobachtet, so schlüpft er in eine andere Rolle. Dann vermummt er zuweilen sogar sein Gesicht und zückt die Sprühdose: Stefan, der eigentlich anders heißt und etwa 30 Jahre alt ist, sprüht in seiner Freizeit gern Graffiti. Illegal.

Auch er trägt Schriftzüge in der Stadt auf. Taggen nennt sich diese Form des Sprayens; das Verteilen des Künstlerkürzels. Viele Tags, das bedeutet, präsent zu sein. Bunte Graffiti in Tunneln oder an Bahnstrecken, das finden einige noch schön. Wenn es jedoch um solche Tags an Häuserwänden geht, hört nicht nur für die Hausbesitzer der Spaß auf.

Das sei ein ziemlich konservatives Kunstverständnis, findet hingegen Stefan. Denn was das ungeübte Auge vielleicht nicht direkt erkennt: Den Sprayern geht es auch dabei um individuellen Stil und Ästhetik. Um einen schönen Schwung, zum Beispiel – oder eben die Farbwahl.

Wie sein Kürzel aussieht, verrät Stefan nicht. Obwohl er sich nicht als Straftäter sieht, will er sich nicht erwischen lassen.

Etwa vier größere Sprayer-Gruppierungen gibt es laut Stefan in Dresden. Verhältnismäßig jung sind diese hier. Denn in Ostdeutschland entstand die Szene erst nach der Wende.

Im Alter von 16 Jahren hat der Dresdner mit dem Sprayen begonnen. Als Breakdancer kam er schon als Kind mit dem Thema in Kontakt. In der Schule dann „wollte ich das auch mal probieren“, sagt er.

Jeder Graffitisprayer spezialisiere sich, wie er erklärt. Stefans „Metier“ sind Züge, Tunnel und Schallmauern an Bahnstrecken. Diese bestückt er auch schon einmal mit einem sogenannten „Piece“; einem aufwendigeren, bunten Graffito. Dafür reist er sogar in andere Länder. In ganz Europa kennt er Sprayer. Es klingt für viele absurd, doch Stefan findet: „Ist doch schön, wenn man weiß, dass sein Name tausend Kilometer von Zuhause entfernt an einer Wand steht, oder nicht?“

Historische Gebäude sind tabu

Am Liebsten sprüht er in den Ländern des ehemaligen Ostblocks. Hier mag er die Mentalität, hier mag er die Züge; überwiegend ältere Modelle. Gerade die haben für ihn einen Reiz, die findet er besonders schön. Dennoch: Historische Loks besprüht er nicht. „Ich will keinen Hass schüren“, erklärt der Sprayer. Und: „Mir liegt viel daran, nicht viele Menschen zu belästigen.“

Trotzdem macht Stefan etwas, das viele Menschen stört. Diese gesellschaftliche Ablehnung kann er aber nicht nachvollziehen. Wenn Kinder Wände mit Kreide bemalen, störe das doch auch niemanden. Auch Stefan habe dennoch eine Art Ehrenkodex. Historische Gebäude und Sandsteinwände wie die der Frauenkirche sind für ihn tabu. Im Oktober sprühten Unbekannte einen fünf Meter langen Schriftzug auf den alten Sandstein. So etwas würde Stefan nicht machen, sagt er.

Ein bis zwei Mal in der Woche zieht er los, um seine kreative Ader auf seine illegale Art und Weise auszuleben. Manchmal bedeutet das, dass er ganz gemütlich in einer alten Industriehalle Freunde trifft. Es wird gegrillt und nebenbei verzieren die Sprayer eben ein paar Wände.

Manchmal geht es aber auch aufregender zu. Bevor Stefan dann zur Sprühflasche greift, beobachtet er genau. Wie verhalten sich beispielsweise Wachpersonal und Bahnangestellte? Wann wird ein Zug aufs Abstellgleis gefahren? Zuweilen trägt er sein Graffito sogar auf einen Zug auf, in dem Leute sitzen. Diese bemerken das in der Regel gar nicht. In wenigen Minuten stellt er sein Werk dann fertig.

Für ihn ein Vergnügen – für die Bahn eine kostspielige Angelegenheit. Knapp 34 Millionen Euro Schaden entsteht für das Unternehmen jährlich durch Graffiti und Vandalismus. Besonders Sachsens Ballungsräume Dresden und Leipzig seien betroffen. Die Bahn warnt deshalb auf ihrer Internetseite in jugendlichem Sprachstil: „Sprayer werden strafrechtlich verfolgt. Und es werden auf jeden Fall Schadensersatzzahlungen von ihnen gefordert. Im Klartext heißt das, wer erwischt wird, muss den angerichteten Schaden in voller Höhe ersetzen. Auch, wenn man noch minderjährig ist und gerade kein Geld auf der hohen Kante hat.“

Angst macht Stefan das nicht. „Oft ist schwer nachzuweisen, wer ein Graffito wirklich gesprüht hat“, sagt er. In der Regel empfindet er das Sprühen selbst sogar als meditativ. Adrenalin sei nur kurz davor oder danach im Spiel. Dennoch: Ein paar Mal wurde auch er schon erwischt. Welche Konsequenzen das für ihn hatte, will er nicht sagen.

Er zeigt ein paar Fotos seiner Graffiti. Viele Bilder sind bunt, einige politisch. Teilweise haben es seine Motive schon in die Zeitung geschafft, erzählt er. Welche das sind, verrät er lieber nicht. Viele der Bilder existieren schon nicht mehr. Sie wurden weggeputzt, vom Regen ausgewaschen, die Gebäude abgerissen. Graffiti – eine vergängliche Art der Kunst.

Kostenlose Werbung

Wenn Graffiti teuer entfernt werden müssen, geschieht das zulasten der Bahnfahrer und Steuerzahler. „Das ist Mist“, gibt Stefan zu. Dennoch hat er eine Rechtfertigung parat: Er müsse durch Steuergelder schließlich auch Dinge finanzieren, die ihm missfallen – Kriege zum Beispiel.

Aber warum macht er das überhaupt? „Das Stadtbild gehört uns allen“, erklärt er. „Eine Brücke zum Beispiel ist Gemeingut. Die haben wir alle bezahlt.“ Werbung gefalle schließlich auch nicht allen, und die hänge trotzdem überall herum. Graffiti seien eben eine Art kostenlose Werbung.

Dass diese anonym – eben illegal – aufgetragen werde, gehöre für ihn zur Begriffsdefinition: Ein rein legales Graffito gibt es für ihn nicht. Graffiti überall erlauben? Das fände er ein spannendes Experiment. Die Wandsprüche gehören für ihn jedenfalls in jede Stadt: „Das zeugt von Leben und Freiheit“. Ein Land, in dem überall Kameras hingen – da ginge das nicht. Er geht noch weiter: „Eine Gesellschaft ohne Graffiti ist keine gesunde Gesellschaft.“