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„Das Beste wäre: ohne Regierung“

Günter Bruntsch scheidet aus dem Präsidentenamt der IHK Dresden. Ein Querdenker, Netzwerker, Macher.

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© Sven Ellger

Von Michael Rothe

Der Präsident der Dresdner Industrie- und Handelskammer lässt jetzt zwei Knöpfe seines Hemds geöffnet. Günter Bruntsch darf das. Schließlich sind seine Stunden im höchsten Ehrenamt von Ostsachsens Wirtschaft gezählt. Am Mittwoch will die Vollversammlung Andreas Sperl (70), Chef der Elbe Flugzeugwerke, zum Nachfolger wählen – auf seinen Vorschlag.

Nicht, dass dem 71-Jährigen auf die letzten präsidialen Tage alles egal ist. Im Gegenteil: Gern hätte er auch die Ärmel hochgekrempelt und weitergemacht. Doch die neue Satzung lässt nur eine Wiederwahl zu. Ironie des Schicksals: Bruntsch selbst hatte die Änderung mitinitiiert. Sicher hätten sich IHK-Entscheider für eine Rolle rückwärts gefunden, aber das ist nicht sein Stil. „Wir sind nicht bei Putin“, sagt er.

Die Terminanfragen hatten schon vor Wochen rapide abgenommen. „Es ist schon angenehm, den Kalender nicht mehr voll zu haben“, sagt der promovierte Ökonom. Das war sieben Jahre lang anders. Nachdem der Radebeuler Hotelier Hartmut Paul 2010 wegen Stasi-Verstrickungen zurückgetreten war, hatte Bruntsch dessen Nachfolge angetreten – auf ausdrückliche Bitte der Kammer. Dort kannte er sich aus, war schon zehn Jahre ehrenamtlich aktiv.

„Stärkung des Mittelstands, die Region Görlitz-Zittau vor allem wegen der Abwanderung ins Visier nehmen, die niedrigen IHK-Beiträge stabil halten“ – so hatte Bruntsch einst wichtige Ziele formuliert. Nun bilanziert er: „Alles erfüllt.“ Dafür war der selbstständige Unternehmensberater laut Steuererklärung 70 bis 90 Stunden pro Monat in Kammerauftrag unterwegs. 2010, als die Lausitz unter Wasser stand, organisierte die IHK Soforthilfe. Auch das hallt nach. Für die 96 000 Pflichtmitglieder, von denen mangels Mindestgewinn von 5 200 Euro im Jahr kaum die Hälfte Beitrag zahlt, ist die Kammer zunehmend ein Dienstleister, der sich vom Behördenimage befreit.

Der IHK-Bezirk habe sich unter Bruntsch „hervorragend entwickelt, der Konjunkturindex im Herbst einen neuen Höchststand erreicht“, würdigt Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Der Präsident habe „maßgeblich zur Sichtbarkeit der IHK Dresden beigetragen“. Ob bei vorbildlichen Ausbildungsbetrieben oder der Verleihung des Innovationspreises – Bruntsch war Basisarbeit wichtig. Seinem Nachfolger rät er, diesen Kontakt zu pflegen: sowohl zu den Unternehmen, als auch zu den 160 Mitarbeitern in der Kammer.

„Wir können Einfluss nehmen – wenn auch nicht alles erreichen, wie bei Sachsens Schulgesetz“, sagt der Noch-Präsident. Und was hält er von der Groko in Berlin? „Das Beste wäre: Ohne Regierung!“ So ist Bruntsch: direkt, den Schalk im Nacken – um gleich wieder ernst zu werden: „Derzeit werden nur Gründe gesucht, warum eine Minderheitsregierung nicht geht.“ Dabei gebe es sie längst durch den Bundesrat.

Auch bei anderen Themen nimmt er kein Blatt vor den Mund: Deutschland stehe sich durch den Datenschutz bei der Digitalisierung selbst im Weg. Die Russland-Sanktionen seien großer Mist, wie alle Embargos. Sie stärkten die Adressaten und schadeten der eigenen Wirtschaft.

Der Unruhegeist fällt in kein Loch, er bleibt Präsident des Industrieclubs Sachsen, auch der einzige nicht-ministerielle Aufsichtsrat in Sachsens Wirtschaftsförderung und in anderen Gremien. Bruntschs Wort hat Gewicht – auch in breitestem Sächsisch. Sein Rat wird geschätzt. Bei der jüngsten Meisterfeier der Dresdner Handwerkskammer hatte er vor 2 500 Menschen vom Handwerkspräsidenten Blumen bekommen. Und einen Händedruck. Mehr als eine Formalität. „Anderswo gibt es Konkurrenz, bei uns nicht“, sagt Bruntsch, „aber auch keine Kumpanei“. Jüngst hatten sich alle Kammern im Freistaat mehr Kooperation geschworen. „Unser Verbund ist das Sprachrohr von Sachsens Wirtschaft.“ Es fülle auch das Vakuum der VSW. Jene regionale Dachorganisation der Arbeitgeberverbände sei seit dem Abgang von Bodo Finger als Präsident sprachlos, so Bruntsch.

Dem Mann ist nichts in den Schoß gefallen. Im Jahr nach dem Krieg in Dresden geboren, als Einzelkind in Bannewitz aufgewachsen. Die Scheidung der Eltern war eine Zäsur. Der Vater – Banker und großes Vorbild – ging 1953 in den Westen. Günter blieb, lernte Werkzeugmacher, studierte in Köthen und an der TU Dresden und startete 1968 eine Karriere vom Verfahrensingenieur zum Kombinatsdirektor des VEB Komplette Chemieanlagen. Als erster Ossi beantragte er 1989 ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Münchner Gasespezialisten Linde. Zuletzt litt er mit, als der Dresdner Standort mit gut 500 Leuten geschlossen werden sollte. Der Ex-Chef kämpfte selbst für den Erhalt seines Erbes – mit Erfolg. Wiederholt hatte er die Wichtigkeit einer eigenen Identität betont.

Bruntsch selbst hat sie. Er steht zu seiner DDR-Biografie und passt in keine Schablone. Hinter scheinbarer Unbeholfenheit steckt Cleverness. „Der Mann ist wunderbar bodenständig“, heißt es im Industrieclub, der sich als Bildungsplattform für Unternehmer und Manager versteht. Der Präsident habe das Herz am rechten Fleck und seine Zunge selten im Zaum.

Der vierfache Familienvater einer Patchworkfamilie ist auch privat gefordert: durch seine pflegebedürftige Ehefrau, sieben Enkel und acht Urenkel. Für die wenige Freizeit bleiben Radfahren, Schwimmen und das Häuschen an der Ostsee.

Was bleibt nach sieben Jahren Präsidentschaft? „Ich habe keine Wehmut“, sagt Bruntsch. Es nutze nichts, zurückzublicken und zu jammern „Hättest Du doch ...“. Sein Motto: „Nach vorn schauen, da spielt die Musik! Jeden Tag geht die Sonne neu auf.“