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Buchtipp oder Volksverhetzung?

An Gerichten häufen sich Nazi-Vorwürfe. In einem Fall in Löbau ging es jetzt um eine Schrift eines Holocaust-Leugners.

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© Thomas Eichler/SZ-Bildstelle

Von Anja Beutler

Löbau/Zittau. Es dauert keine halbe Stunde und schon verlässt der Beschuldigte als freier Mann den Saal des Zittauer Amtsgerichtes. Was ihm vorgeworfen wurde, ist beileibe kein Kavaliers-Delikt: Volksverhetzung soll der Löbauer Gewerbetreibende Manfred Römer* begangen haben. Der 55-Jährige hat ein Geschäft in Löbaus Mitte, wo er nicht nur seine Waren gern ins Schaufenster rückt, sondern auch politische Statements. So hatte er unter anderem eine A 4-Seite über das Buch des bekannten Holocaust-Leugners Gerard Menuhin im Dezember 2015 angeheftet. Menuhin, selbst Jude und Sohn des weltberühmten Geigers Yehudi Menuhin, erklärt darin, dass der Holocaust die größte Lüge der Geschichte sei, Deutschland am Zweiten Weltkrieg keine Schuld trage und dass er Adolf Hitler für einen fähigen Staatsmann halte. So steht es im Bericht über das Buch.

Richter Kai Ronsdorf hatte nun zu entscheiden, ob sich der Angeklagte damit strafbar gemacht hat. Ob er eine Volksgruppe verunglimpft, gar die Massenvernichtung der Juden durch die Nazis geleugnet habe. Oder ob der Aushang unter die Meinungsfreiheit fällt. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Strafbefehl gegen Römer erwirken wollen. Doch Richter Ronsdorf hatte seine Zweifel und setzte deshalb einen Verhandlungstermin an, um die Sache zu prüfen. Er schraubte auch die Sicherheitsvorkehrungen im Gericht hoch: Zuschauer mussten durch die Sicherheitsschleuse am Eingang des Hauses. Und sie mussten ihre Handys abgeben.

Was sich im Gerichtssaal in der knappen halben Stunde dann abspielte, mutet eher banal an. Im Kern ging es um die Frage, ob der Beschuldigte denn der Autor dieses Textes aus dem Schaufenster sei. Manfred Römer verneinte das. Er habe den Artikel über Menuhins Buch aus dem Internet ausgedruckt, erklärte er. Alles stamme von einer öffentlichen Seite, das Buch könne man bestellen – inzwischen auch auf Deutsch. Ob er denn der Ansicht sei, dass es den Holocaust nicht gegeben habe, wollte der Richter weiter wissen. Nein, er leugne den Holocaust keinesfalls, beteuerte der Beschuldigte: „Im Gegenteil!“ Wozu dann der Artikel im Schaufenster dienen sollte, fragte der Richter. „Ich habe es als eine Art Buchtipp verstanden“, erklärt die Beschuldigte. Staatsanwalt Jürgen Ebert wollte nach diesen Erörterungen lediglich noch wissen, ob Römer denn aktuell einen Aushang, ein politisches Statement im Fenster ausgestellt habe. Der Befragte verneinte. Damit war auch für den Staatsanwalt die Sache klar – er plädierte auf Freispruch.

Unerwähnt blieb damit, dass die anderen Blätter, die im Dezember 2015 gleich neben dem Artikel über das Menuhin-Buch gehangen hatten, durchaus mehr über Absicht und Einstellung des Löbauers hätten erzählen können. Auch wenn sie von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Denn darauf spiegelte sich eine mindestens als judenkritisch zu bezeichnende Einstellung wieder: Abgebildet waren unter anderem eine Weltkarte mit David-Stern und zwei schematischen Figuren, von denen die eine die andere unterdrückt. Zudem war von den USA und Israel als „Schurkenstaaten“ und „Verbrecherstaaten“ die Rede. Und auch Kanzlerin Merkel wurde auf einem Aushang etwas Jüdisches attestiert. Eine Rolle spielte das in dem Verfahren gegen den Mann, der bislang aus juristischer Sicht eher unauffällig war, aber nicht.

Auffällig ist hingegen, dass in jüngster Zeit augenscheinlich häufiger das Thema Volksverhetzung auch bei der Staatsanwaltschaft und am Zittauer Amtsgericht eine Rolle spielt – wohl nicht zuletzt, weil das vermeintlich anonyme Internet manche zu allzu sorglosen Äußerungen verleitet: Im Januar verhandelte Richter Ronsdorf gegen eine 27-Jährige, die alte Fotos mit Hakenkreuzfahne auf Facebook gepostet hatte – aus reinem Geschichtsinteresse. Im Februar stand ein Ebersbacher vor Gericht, der – ebenfalls im Internet – im Zusammenhang mit einem Asylbewerberheim von „Abfackeln“ und „Zigeunern“ geschrieben hatte. Beide wurden freigesprochen. Die Hürde, die Meinungsfreiheit einzuschränken, hielt das Gericht in allen Fällen hoch. Richter Ronsdorf hatte dabei in allen diesen Verfahren deutlich gemacht, dass er von vornherein Zweifel an der Schuld der Angeklagten hatte und sich die Sache lieber im Gerichtssaal als in den Akten mit der Lupe anschaut.

*Name geändert