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Brockwitz ohne Glocken

Der Kirchturm muss dringend saniert werden, auch der Dachstuhl und das Geläut. Doch die ältere Glocke wollte erst mal nicht raus aus ihrem Zuhause.

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© Norbert Millauer

Von Ines Scholze-Luft

Coswig. Ächzen, Stöhnen, schweres Atmen. Die Männer der Heidenauer Glockenläute- und Elektroanlagen GmbH und von Mentner-Krane Meißen haben es schwer mit Glocke Nummer zwei. Die hängt am frühen Dienstagnachmittag innen vorm Kirchturmfenster und will ihr angestammtes Heim nicht verlassen. Tut die betagte Dame, Baujahr 1625, doch schon seit fast 400 Jahren ununterbrochen Dienst in der Brockwitzer Kirche. Doch nun soll sie eine weite Reise antreten. Ins Glockenschweißwerk im niederländischen Asten. Dort wird sie gemeinsam mit ihrer Schwesternglocke repariert. Die ist nicht nur deutlich jünger, nämlich 1847 entstanden, sondern auch leichter. Hat nur etwa 250 Kilogramm zu bieten, die Ältere mit 450 Kilogramm fast doppelt so viel.

Rastplatz. Die beiden Glocken, vorn die ältere, stehen vorm Abtransport am Kirchturm.
Rastplatz. Die beiden Glocken, vorn die ältere, stehen vorm Abtransport am Kirchturm. © Norbert Millauer

Ob 91 oder 75 Zentimeter Durchmesser – beide Bronzeglocken müssen durchs Turmfenster hinunter gehievt werden auf den Friedhof. Wo ein roter Mentner-Minikran Stellung bezogen hat, der kurz zuvor vom Tieflader auf der Dresdner Straße per Gummiketten bis vor den Kirchturm gerollt ist.

Das Mentner-Team legt extra Holztafeln auf den Fahrweg, damit der Rasen unbeschädigt bleibt. Dann streckt der Kran vier lange Beine aus. Als genügend Holz die Auflageflächen abpolstert, hebt sich das ganze Gerät und steht plötzlich frei – die Ketten in der Luft. Jetzt muss nur noch der Kranarm die etwa elf Meter bis hoch zum Kirchturmfenster reichen, dann kann die Reise der Glocken beginnen.

Pfarrer Matthias Quentin ist froh, dass es endlich losgeht mit den Arbeiten am Kirchturm. Tiefe Risse an den Turmwänden zeigen die Dringlichkeit. Dem Pfarrer zufolge sind die Schadstellen in den letzten Jahren gewachsen. Die Ursache: Eine unglückliche Verbindung zwischen Glockenstuhl und Mauerwerk, wodurch die Schwingungen übertragen werden. Und ein schadhafter Dachstuhl, der die Lasten ungünstig aufs Mauerwerk verteilt. Daran hatte auch die Sanierung im Dachbodenbereich und am Fundament der Glockenstube vor drei Jahren nichts Grundlegendes geändert.

Das muss jetzt passieren. Ehe vielleicht die ganze Stabilität des Turms infrage steht. Bevor der neue Dachstuhl entsteht, müssen auch der Dachreiter aus Schiefer sowie die gesamte Spitze mit Kugel, Wetterfahne und Kreuz abgenommen werden, voraussichtlich nächste Woche. Und da das ohne Gerüst nicht geht und auch die beiden Glocken Schäden aufweisen, werden diese mit in Ordnung gebracht.

Die Glockenabbauer können gleich das Gerüst mit nutzen, das von der Dombauhütte Meißen seit Ostern errichtet wird. Ronny Möllenbruck von der Heidenauer Glockenläutefirma hat sich das Brockwitzer Geläut schon mal angeschaut und die Demontage gedanklich durchgespielt. Mit seinem Kollegen sowie Maik Hoffmann und Alexander Linowski vom Mentner-Team macht er sich nun daran, die Glocken rauszuheben. Draußen auf dem Gerüst steht Maik Hoffmann, steuert den Kran. Drinnen bugsieren die Männer per Flaschenzug zuerst die kleinere Glocke ins Freie. Geschafft.

So schnell klappt das bei der Zweiten nicht. Während über die linkselbischen Berge dunkle Wolken ziehen und ein kalter Wind in die Glockenstube bläst, ringen vier Leute mit der fast 400-Jährigen. Maik Hoffmann hat sie zwar schon am Kranhaken, doch so richtig will sie nicht durchs Fenster. Drücken, nachlassen, so lauten die nächsten Anweisungen. Noch mal tief Luft holen – dann schwebt auch die Hochbetagte zur Erde.

Dort wird sie auf einen Lkw verladen und erst mal ins Nachtlager gebracht. Bevor die Zugfahrt nach Holland beginnt. Da erhält die Ältere einen neuen Schlagring – der Abschnitt, wo der Klöppel dranschlägt, ist stark eingedellt. Der Jüngeren fehlt einer der Bügel an der Krone. Ein neuer wird angebracht. Das Glockenschweißwerk Asten bietet dafür gute Bedingungen, sagt Manfred Richter. Der Baupfleger von der Landeskirche koordiniert die Arbeiten am Kirchturm.

Wann das erneuerte Geläut zum ersten Mal in Brockwitz erklingt, kann allerdings weder Manfred Richter noch Pfarrer Quentin sagen. Und so glücklich der Pfarrer über den Baustart ist, so sehr hofft er, dass auch die Finanzierung funktioniert. Denn allein die Turmarbeiten kosten etwa 170 000 Euro. Für das Geläut kommen weitere 26 000 Euro dazu. Noch hat die Kirchgemeinde keine Zusage wegen der Fördermittel von Landratsamt und Landeskirche. 44 000 bzw. 18 000 Euro sind beantragt. Deshalb sind Spenden weiter wichtig. Genauere Informationen dazu gibt es im Brockwitzer Pfarramt, Telefon 03523 71744.

Und wer sich über den Fortgang der Arbeiten informieren will, kann das direkt vor Ort. In der offenen Kirche vom 2. Mai bis 29. September, montags bis freitags, 10 bis 12.30 Uhr. Vielleicht erlebt er sogar, wie die reparierten Glocken heimkommen.