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Bei ihr darf keiner am Rad drehen

Die Arbeit als Fährfrau auf der Elbe ist meist entspannt. Für Agnes Sodan wurde es auch mal gefährlich – und das ausgerechnet auf ihrem Lieblingsschiff.

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© Dirk Zschiedrich

Von Gunnar Klehm

Bad Schandau. Jetzt muss sich Agnes Sodan ganz klein machen. Es war mal wieder Zeit, den Stand der Tankfüllung zu „peilen“, wie es unter Fährleuten heißt. Eine Tankanzeige im Steuerhaus der „Sebnitz“ gibt es nicht. So geht es eine kleine Leiter hinunter in den gerade mal einen Meter hohen Bauch der Fähre. Die Schiffe fahren nicht zum Tanken, sondern das Tankauto kommt zum Schiff. Etwa alle 14 Tage. Agnes Sodan ist die einzige Frau zwischen Dresden und Tschechien, die eine Fähre von einem Elbufer zum anderen steuert. Jeden Morgen vor Fahrtantritt muss sie auch einen Blick in den Maschinenraum im Heck werfen, den Ölstand prüfen. „Technisches Verständnis muss man für unseren Beruf schon haben“, sagt die Fährfrau. Eine Ruderanlage müsse man jederzeit abschmieren können. Maschinenkunde ist Bestandteil der Ausbildung.

Fährleute müssen regelmäßig in den Bauch des Schiffes kriechen, um die Tankfüllung zu „peilen“, wie es heißt.
Fährleute müssen regelmäßig in den Bauch des Schiffes kriechen, um die Tankfüllung zu „peilen“, wie es heißt. © SZ/Gunnar Klehm
Beim Festzurren der Steganlage kann die Arbeit auch mal körperlich anstrengend werden.
Beim Festzurren der Steganlage kann die Arbeit auch mal körperlich anstrengend werden. © Dirk Zschiedrich

Was als Ausbildungsfach auch ganz angebracht wäre: Psychologie der Fahrgäste oder Konfliktlösungstraining. Auf die Launen der Elbe könne man sich einstellen. Vor dem Anleger in Postelwitz ist beispielsweise ein Strudel, den man besonders anfahren muss. „Im Dunkeln sieht man auch den Anleger in Krippen und die Boje dort nicht“, sagt Agnes Sodan und zeigt auf die aus dem Wasser ragende Tonne. „Erfahrung ist schon vonnöten. Streckenkunde wird auch geprüft“, sagt die 43-Jährige. Am schwierigsten ist es jedoch bei Sturm. Der drückt das Schiff weg. Im Extremfall wird das Anlegen unmöglich. So auch Ende Oktober, als Sturm „Herwart“ wütete. Da ging stundenlang nichts mehr. Die Einstellung des Schiffsverkehrs liegt im Ermessen der Fährleute. Jeder muss selbst entscheiden, ob sein Schiff noch sicher zu fahren ist. Hier steht die Sicherheit der Fahrgäste vor allem. Übermut ist nicht gefragt. Nach dem aktuellen Wetterbericht zu schauen, ist Routine vor jedem Dienst.

Die Menschen seien dagegen unberechenbar. Gefährlich nahe kam ihr mal ein 86-Jähriger, der in einem manövrierunfähigen Motorboot rumeierte. Da musste sie kräftig bremsen. Eine richtige Havarie hat Agnes Sodan zum Glück noch nicht erlebt. „Das wird aber in der Ausbildung durchgespielt“, erklärt sie. Das sind beispielsweise Anker-Manöver bei Motorausfall, wie man im Ernstfall am besten aus der Fahrrinne kommt oder Abläufe bei „Mann über Bord“. Sie hat gelernt, wie man richtig an diese Person ranfährt und wie man Helfer einbindet. „Ich muss ja bei so einer Rettung steuern“, sagt sie. Erlebt hat sie das noch nicht. Das solle auch möglichst so bleiben.

Beim heutigen Dienst sind die Anleger in Krippen, Postelwitz und Bad Schandau ihr Revier. Entspannt steuert sie in einem Bogen den Steg an. Dann rumst es etwas. „Ist ganz schön starke Strömung. Da lässt sich das kaum vermeiden“, sagt die Fährfrau. Carsten Glaser ist Stammgast auf den Elbfähren und jetzt mit an Bord. „Die Männer fahren wilder“, sagt der Postelwitzer. Er fährt wochentags mit dem Fahrrad und der S-Bahn zur Arbeit. Da sei die Fährverbindung sehr praktisch, zu mal die im Bahnticket enthalten ist. Agnes Sodan erlebe er als Frohnatur. „Sehr direkt, aber dabei immer freundlich“, sagt der junge Mann.

Fahrgast fuchtelt mit Schere rum

„Ich lass mir nicht auf der Nase herumtanzen“, erklärt Agnes Sodan. Wer am Rad dreht, darf nicht mit. Dabei ist nicht das wagenradgroße Steuer gemeint. Ins Steuerhaus darf ja sowieso niemand. Aber sonderbare Fahrgäste gibt es immer wieder, die Agnes Sodan resolut in die Schranken weisen muss. Jetzt sind es zwei Fahrgäste, die schon auf dem Steg warten. „Gehen Sie bitte vom Anleger runter“, ruft sie von der offenen Tür während der Fahrt zu ihnen rüber. Tatsächlich wartet sie mit dem Anlegen, bis sich die beiden vom Steg getrollt haben. Schließlich stünden die Schilder mit dem Hinweis nicht umsonst am Ufer. „Man muss sie nur lesen“, sagt die Fährfrau. Auf dem Anleger könne man leicht aus dem Gleichgewicht kommen, wenn es mal ungewollt rumst. „Außerdem kann uns die Wasserschutzpolizei dafür genauso zur Kasse bitten wie die Leute“, sagt sie.

Einmal musste sie in Not die Polizei rufen. Ein Mann wollte in Schöna partout nicht bezahlen. Er stand schon auf der Fähre. Als sie sich weigerte zu fahren, rastete der Mann aus und bedrohte sie sogar mit einer kleinen Schere. „Ich hatte sofort gemerkt, dass der irgendwie anders ist“, sagt Agnes Sodan. Das bezieht sie nicht aufs Äußere, sondern aufs Verhalten. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es ein Tunesier war, der schon einiges auf dem Kerbholz hatte. Die alarmierten Polizisten nahmen ihn mit. Dann konnte endlich abgelegt werden. Vor Gericht aussagen musste sie nicht. Später hatte sie lediglich erfahren, dass der Mann eine Haftstrafe bekam.

Die meisten seien aber prima Fahrgäste. „Manche Urlauber verabschieden sich freundlich bis zum nächsten Jahr“, sagt sie. Darüber freut sich Agnes Sodan. Das Publikum ist auf jeder Verbindung anders. Zwischen Postelwitz und Krippen pendeln viele Einheimische und Urlauber. In Schöna kommen zum Monatsanfang oft Leute mit der Bahn, die einen Vorrat an Zigaretten in Tschechien holen. In Königstein fahren viele Radsportler mit, die auf dem Elberadweg die Seite wechseln. „Da könnte man Studien treiben“, sagt die Fährfrau. Der Vorfall mit dem Scheren-Mann passierte ausgerechnet auf ihrem Lieblingsschiff. Zwar seien die Fähren baugleich. Auf der „Kaiserkrone“ liege aber immer alles an seinem Platz, weil die Besatzung nicht so oft wechselt. „Diese Ordnung ist beruhigend und auch gut, wenn die Wasserschutzpolizei kontrollieren kommt“, sagt sie. Das passiere auch schon mal im laufenden Betrieb.

Die längste Schicht im Sommerfahrplan dauert zehn Stunden. Eine kleine Toilette ist an Bord. An Tagen mit Hochbetrieb geht es ununterbrochen von einem Ufer zum anderen. Dann muss sie sich fast zu Pausen zwingen. Für den Fahrgast sei das nur schwer verständlich, wenn es mal nicht sofort weitergeht. Im Winterhalbjahr ist es ruhiger. Da bleibt mal Zeit, ein Fenster zu putzen oder Dreck wegzufegen. Agnes Sodan hat nicht bereut, 2015 noch mal den Beruf gewechselt zu haben. „Das ist ein Job, in dem man alt werden kann.“