Merken

Auge in Auge

Yvonne Luger versorgt die vier Löwen im Zoo. Zärtlichkeiten sind erlaubt. Aber nur kurz.

Teilen
Folgen
© René Meinig

Von Juliane Richter

Angst ist ein schlechter Begleiter. Vor allem bei der Arbeit mit den vier Löwen im Dresdner Zoo. Die sensiblen Großkatzen haben feine Antennen für den Zustand ihres Gegenübers. Wenn sich einer der drei Stammpfleger schlecht fühlt oder kränkelt, darf er sich an diesem Tag nicht um die Löwen kümmern. Denn Achtsamkeit und wache Sinne sind oberstes Gebot.

Yvonne Luger wechselte 2013 aus dem Tierpark Chemnitz in den Dresdner Zoo und betreut hier nun die Löwen. In Chemnitz hatte erst im September eine Leopardin einen erfahrenen Pfleger angegriffen und schwer verletzt. Luger und ihr Revierleiter Mike Wolf sind sich einig: So etwas passiert bei der Arbeit mit Raubtieren und kann auch in Dresden geschehen. Deshalb ist die Arbeit mit den Löwen, die sie von Herzen machen, immer auch ein Spagat. Denn auf den ersten Blick wirken die Tiere zutraulich. Diesen exklusiven Eindruck bekommt nur, wer den Versorgungsgang für die Pfleger auf der Rückseite des Geheges betreten darf. Die 33-jährige Luger hockt sich an eine Gittertür und wartet.

Lautlos, geschmeidig und ohne Eile kommt Abaja heran. 2012 wurde sie gemeinsam mit ihrem Bruder Damien im hiesigen Zoo geboren. Mittlerweile ist sie ausgewachsen und wirkt, nur durch die Gittertür getrennt, schlicht riesig. Das hält Yvonne Luger nicht davon ab, ihr kurz die Hand entgegenzustrecken und direkt vor die Nase zu halten. Aber eben nur kurz. „Wenn Löwen krallen, haben sie den Reflex, nicht mehr loszulassen“, sagt sie. Bekäme einer der vier ihre Hand zu fassen, wäre die dann vermutlich ab. Ein Betreten der Anlage, solange die Tiere darin sind, ist undenkbar, da definitiv tödlich. Denn egal wie gut die Löwen Yvonne Luger kennen, sie würde als Eindringling gelten, gegen den das Revier verteidigt werden muss. Wie blitzschnell sich ein Löwe bewegen kann, zeigt Abaja, als sie ohne Ankündigung vom etwa zwei Meter entfernten Felsen bis zur Gittertür springt. Wieder lautlos, aber diesmal blitzschnell. Die 33-jährige Yvonne Luger erschrickt nicht. „Abaja ist sehr lieb. Sie meint es nicht böse. Damien ist dagegen ein kleiner Giftzwerg. Er stellt sich gern am Gitter hoch“, charakterisiert sie ihre Schützlinge.

Dieses Anstellen hat auch positive Aspekte. Denn so trainieren die Pfleger mit den vier Löwen zum Beispiel, dass ihnen am Gitter die Krallen geschnitten werden. Bisher ist das nicht notwendig, weil sie sich die Krallen auf natürlichem Weg im Gehege abwetzen. Wenn Vater Jago und Mutter Layla allerdings in die Jahre kommen, kann das Training sich als nützlich erweisen. „Wir können die Tiere ja auch nicht wegen solcher Kleinigkeiten narkotisieren“, sagt Revierleiter Mike Wolf.

Lange war keine Narkose nötig. Wolf kann deshalb nur schätzen, dass die beiden Männchen mittlerweile um die 190 Kilogramm auf die Waage bringen. Während Vater Jago eine prächtige Mähne trägt, wird diese sich bei seinem Sohn nicht mehr ausbilden. Denn damit Damien in Dresden bleiben kann, wurde er kastriert. Das beeinflusst seinen Hormonhaushalt dermaßen, dass der Vater ihn nicht als Konkurrenten wahrnimmt – und schlicht am Leben lässt. Denn normalerweise würde Jago seinen Sohn unterdrücken und totbeißen. Dass Jago der Chef ist und bleibt, demonstriert er am Ende des Besuchs. Sein unglaublich lautes Gebrüll hallt durch den Versorgungsgang. Noch ein Blick zur Gittertür zeigt: Der stolze Jago wirft den Kopf in den Nacken und gibt alles.