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Auf der Suche nach dem vollendeten Geschmack

Ein Görlitzer Forschungsprojekt könnte bei der Züchtung neuer Erdbeersorten helfen – dank eines Vaterschaftstests.

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© Wolfgang Wittchen

Von Anett Böttger

Ossi-Erdbeerpflanzen“ ist auf einem Schild zu lesen, das in Weißwasser an der Straße nach Bad Muskau steht. Die Gärtnerei, die damit wirbt, hat unter anderem „Mieze Nova“ im Angebot. Die Sorte ist offensichtlich eine verbesserte Form der legendären „Mieze Schindler“. Otto Schindler aus Pillnitz züchtete sie 1925 und benannte sie nach seiner Frau „Mieze“. Die eher kleinen Früchte ähneln im Aussehen Himbeeren und schmecken sehr süß. Trotz mäßigen Ertrags und Anfälligkeit für Krankheiten ist die Sorte gerade wegen ihres Aromas bei Hobbygärtnern wohl nach wie vor äußerst beliebt.

Bis ins 19. Jahrhundert hinein, war die kleine, aromatische Frucht in Mitteleuropa verbreitet, verschwand dann aber weitgehend aus den Gärten.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein, war die kleine, aromatische Frucht in Mitteleuropa verbreitet, verschwand dann aber weitgehend aus den Gärten. © Wolfgang Wittchen

Tatsächlich war „Mieze Schindler“ im Osten Deutschlands weit verbreitet. Allerdings besitzt die Sorte rein weibliche Blüten, die sich nicht selbst bestäuben können. Damit sich überhaupt Früchte bilden, wird sie häufig zusammen mit „Senga Sengana“ auf Gartenbeete gepflanzt, die etwa zur gleichen Zeit blüht. Diese zwittrige Sorte stammt jedoch aus dem Westen, konkret aus Ahrensburg in Schleswig-Holstein, sagt Klaus Olbricht von der Firma Hansabred. Das Unternehmen züchtet im Dresdner Ortsteil Weixdorf neue Erdbeersorten und arbeitet dabei mit Forschungseinrichtungen in Europa, China, Japan sowie den USA zusammen. Dazu gehört auch das Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz.

Wissen aus der Forschung sei stets die Basis für die Entwicklung einer Kulturpflanze, betont Olbricht, selbst Wissenschaftler. „Alle Eigenschaften, die wir in der Natur finden, analysieren und beschreiben können, haben potentiellen Nutzen für die Züchtung, etwa in Bezug auf Aroma, Resistenzen oder Blühverhalten.“ Ziel bei neuen Entwicklungen sei es, hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber verschiedenen Krankheitserregern zu erreichen und den Geschmack der Früchte zu verbessern.

Die Pflanzen der Früchte, die hierzulande auf den Tisch kommen, stammen ursprünglich aus völlig anderen Breiten. Die großfruchtige Gartenerdbeere entwickelte sich vor etwa 250 Jahren durch zufällige Kreuzung von zwei Wildformen aus Nord- und Südamerika. Seither hat das Spektrum der dadurch entstandenen Kulturerdbeere enorm zugenommen: nach Angaben des Bundeszentrums für Ernährung gibt es heute weltweit mehr als 1 000 Sorten.

Verwandschaft unter wilden Arten

In Deutschland werden Erdbeeren etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts angebaut. Auf den Versuchsfeldern von Hansabred lässt sich die Kulturgeschichte der beliebten Frucht eindrucksvoll ablesen. In langen dichten Reihen gedeihen dort Sämlinge von 200 Sorten, die seit 1849 entstanden. „Mieze Schindler“ oder „Senga Sengana“ sind in der Feldgalerie ebenso zu finden wie einige Hundert Zuchtklone.

2008 gegründet, sind an Hansabred vier Unternehmen aus Deutschland, Spanien, Großbritannien und den Niederlanden beteiligt, die sich unter anderem auf die Vermehrung von Erdbeerpflanzen spezialisiert haben. „Deren Zukunft hängt auch von neuen Sorten ab“, macht Klaus Olbricht deutlich. Die Züchtung mit Wildarten habe sich über Jahrhunderte als sehr schwierig erwiesen, sodass wissenschaftliche Erkenntnisse gerade dazu willkommen seien.

Mit Walderdbeeren beschäftigt sich derzeit der Biologe Sebastian Buschmann in Görlitz. Für seine Doktorarbeit untersucht er, inwieweit drei in Mitteleuropa vorkommende Wildarten miteinander verwandt sind und wie vielfältig sie sich im Laufe der Zeit entwickelt haben könnten. Der 29-Jährige hat die sogenannte Zimt-Erdbeere besonders in den Fokus genommen. An zehn verschiedenen Standorten in Sachsen, Thüringen, Bayern und im böhmischen Mittelgebirge in Tschechien sammelte er davon Proben, um zum Vergleich der Pflanzen ihren „molekularen Fingerabdruck“ zu bekommen. „Die Methode ähnelt einem Vaterschaftstest“, erklärt der Biologe. Aus den Blättern wird dazu im Labor die DNA für bestimmte Nachweisreaktionen extrahiert.

Noch sind nicht alle Proben ausgewertet und mit vorhandenen Erkenntnissen verglichen, etwa mit den Daten aus der Sammlung des Forschers Günter Staudt (1926 – 2008). Sie wird bei Hansabred in Dresden aufbewahrt und umfasst immerhin etwa 24 Arten von Wilderdbeeren, die weltweit vorkommen, vor allem auf der Nordhalbkugel. Bereits jetzt zeichnet sich die Vermutung ab, dass die Zimt-Erdbeere aus einer zufälligen Kreuzung in der Natur entstand und wohl eher eine junge Wildart ist. „Bei der Beantwortung der Frage, wer die Eltern dieser Pflanzen waren, stehen wir erst am Anfang“, räumt Sebastian Buschmann ein. Für sein Projekt arbeitet er auch mit der Technischen Universität in Dresden zusammen, wo er studiert hat.

An Straßenrändern, auf Friedhöfen oder in Grünanlagen hat der junge Botaniker Zimt-Erdbeeren entdeckt, und das in Gebieten, wo sie ursprünglich gar nicht heimisch sind. An der Ausbreitung solcher Wildarten, beispielsweise im Südwesten Deutschlands oder im Hamburger Raum, hat der Mensch entscheidenden Anteil. „Man hat die Pflanzen aus der Natur entnommen und in den Garten gesetzt“, erläutert Buschmann. In Schlossgärten und Parks etwa wurden Walderdbeeren früher gezielt angebaut, um die Ernte auf die herrschaftliche Tafel zu bringen. Für höhere Erträge und größere Früchte reicherten die Gärtner den Boden mit Mistpackungen an oder zogen sie in Gewächshäusern auf.

Aus Schlossgärten in Kleingärten

Offenbar gab es einen regen Austausch herrschaftlicher Gärtner untereinander, sodass Zimt-Erdbeeren in Deutschland weit verbreitet wurden. An sieben von neun inzwischen untersuchten Standorten, darunter in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, fanden die Wissenschaftler aus Görlitz genetisch identisches Material dieser Art. Ursprünglich war ihr Vorkommen vor allem auf Sachsen und Bayern beschränkt. „Bis ins 19. Jahrhundert wurde die Zimt-Erdbeere in Mitteleuropa häufig kultiviert, ist dann aber von der modernen Garten-Erdbeere fast vollständig verdrängt worden“, sagt Sebastian Buschmann. „Je mehr man über diese extrem schmackhafte Art weiß, desto gezielter kann man auf altes Wissen zurückgreifen“, glaubt der gebürtige Chemnitzer. Bevor er sich intensiv mit der Zimt-Erdbeere beschäftigte, kannte er ihren aromatischen Geschmack gar nicht. Nun wünscht er sich, dass die Popularität der Wildart steigt und solches heimisches Obst wieder stärker in den Blickpunkt rückt, vielleicht auch für die Nutzung in Kleingärten.