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Auf der Flucht

Was tun, wenn es brennt und der Weg nach draußen versperrt ist? Eine Frage, die das städtische Bauamt immer wieder neu beschäftigt.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Jörg Richter

Großenhain. Diese beiden Stahltreppen bemerken wohl die wenigsten Spaziergänger, wenn sie an der 1. Grundschule vorbeigehen. Dabei ist eine von ihnen noch nicht mal klein. Aus der Ferne sind sie am besten zu sehen. Sie sind oben auf der Giebelseite des altehrwürdigen Schulgebäudes angebracht und führen hinab auf das Flachdach des Anbaus. Hierhin sollen sich Hortkinder retten, wenn es in der Schule brennt und sie nicht mehr aus dem Dachgeschoss fliehen können. Zwar gibt es auf dem Flachdach ein Geländer, damit sie nicht runterfallen. Aber so richtig sicher ist diese „Terrasse“ nicht.

Stadtsprecherin Diana Schulze zeigt einen der Fluchtpläne, die an mehreren Stellen im Rathaus hängen.
Stadtsprecherin Diana Schulze zeigt einen der Fluchtpläne, die an mehreren Stellen im Rathaus hängen. © Klaus-Dieter Brühl
An der 1. Grundschule sind schon die drei Außentüren für die neue Fluchttreppe eingebaut worden.
An der 1. Grundschule sind schon die drei Außentüren für die neue Fluchttreppe eingebaut worden. © Klaus-Dieter Brühl
Lutz Pfennig von der Touristinfo erklärt die Funktion der Rauchgas-Verdrängungsanlage im Keller des Palais.
Lutz Pfennig von der Touristinfo erklärt die Funktion der Rauchgas-Verdrängungsanlage im Keller des Palais. © Klaus-Dieter Brühl

„Das war früher zulässig, heute nicht mehr“, sagt Bauamtsleiter Tilo Hönicke. Sich vom brennenden Haupthaus auf das Flachdach zu begeben, bedeutet noch lange nicht, dass die Kinder und Erzieher in Sicherheit sind. Sie müssten von dort oben auch erst mit der Drehleiter der Großenhainer Feuerwehr gerettet werden. Einer nach dem anderen. Da geht viel Zeit verloren. Womöglich weht der Wind ungünstig und der Qualm zieht aufs Flachdach. Dann könnte es viele Rauchvergiftungen geben. Oder das Schuldach stürzt ein und fällt auf das benachbarte Flachdach. Was dann?

Um solche Schreckensszenarien zu vermeiden, hat der Großenhainer Stadtrat entschieden, draußen an die 1. Grundschule eine Fluchttreppe zu bauen. Die drei Brandschutztüren, die nach draußen führen und übereinander zur Hofseite zeigen, sind schon fertig. Nun fehlt nur noch die dreigeschossige Stahlkonstruktion.

So ein sperriges Gerüst ist meist eine Notlösung. „Immer dort, wo es innen der Platz nicht hergibt, kommt draußen eine Fluchttreppe dran“, sagt Hönicke. Denn in jedem öffentlichen Gebäude sind mindestens zwei Fluchtwege Pflicht.

„Im Rathaus haben wir drei“, sagt die Stadtsprecherin Diana Schulze und zeigt auf einen der Rettungspläne, die eingerahmt an der Wand hängen. Neben dem Haupttreppenhaus mit seinen breiten Stufen gibt es noch zwei Treppen in den hinteren Seitenflügeln des Rathauses. Wenn es hier brennt, haben Verwaltungsmitarbeiter und Besucher gute Chancen, rauchfrei aus der brenzligen Lage herauszukommen.

Stahltreppen nicht um jeden Preis

Im Zabeltitzer Palais sah es lange Zeit ganz anders aus. Hier gab es eigentlich nur einen einzigen Rettungsweg – durch das Foyer nach draußen. Als die Stadt Großenhain das kleine Schloss übernahm, war guter Rat teuer. „Dort würde ich niemals draußen eine Fluchttreppe dranbauen“, sagt Hönicke. „Das würde das Palais nur verschandeln.“

Also hatte er sich, als das Thema Brandschutz im Stadtrat auf der Tagesordnung stand, mit einer anderen Idee durchgesetzt. Hönicke schlug vor, innen einen zweiten Fluchtweg zu ertüchtigen. Dieser wurde erst möglich durch eine Brandschutztür nach draußen, die aufwendig an das äußere Erscheinungsbild des Palais angepasst werden musste. Doch noch aufwendiger war der Einbau einer Rauchverdrängungsanlage. Ihr Herzstück befindet sich im Kellergewölbe. Wenn die Brandschutztür geöffnet wird, springt sie an und saugt den Qualm nach oben weg. Der zweite Fluchtweg wird dadurch rauchfrei.

„Diese Rauchverdrängungsanlage ist nicht preiswerter als eine Stahlkonstruktion und muss auch noch gewartet werden“, sagt Hönicke. Doch im Interesse der Ästhetik willigten die Stadträte in diese teure Variante ein.

Der Bauamtsleiter betont, dass es in jeder städtischen Einrichtung einen zweiten Fluchtweg gibt. Auch wenn sich gelegentlich die Vorschriften ändern. So zum Beispiel im Fall der Rettungsrutsche in der Kita Chladeniusstraße. Sie wird zwar vom Verein Lustiger Tausendfüßler betrieben, aber das Gebäude gehört nach wie vor der Stadt. „Doch Rutschen sind als Fluchtwege nicht mehr statthaft“, so Hönicke. Deshalb musste sich zurückgebaut werden. Allerdings sei die Rutsche auch verschlissen gewesen.

Überhaupt gibt es prinzipielle Anforderungen an Fluchtwegen. Sie müssen ein bestimmten Brandwiderstand haben. Soll heißen: Sie müssen aus einem Material sein, das nicht so leicht brennt – also Stein oder Stahl.

Fluchtwege müssen zudem als solche auch ausgewiesen und erkennbar sein, und das auch in der Dunkelheit. Und bei Eis und Glätte sollte man nicht auf ihnen ausrutschen. Deshalb werden bei Stahltreppen gern Riffelbleche verwendet.

Aber am liebsten hat es der Bauamtsleiter, wenn überhaupt keine Fluchttreppen oder -leitern gebraucht werden. So wie bei den beiden Kita-Neubauten in Wildenhain und auf der Preuskerstraße. Die sind nämlich eingeschossig. Dort sind alle Außentüren Fluchtwege. Und die kürzesten dazu.