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Arzneien landen im Abwasser

Einzelne Wirkstoffe kann die Kläranlage nicht rausfiltern. Außerdem fehlt Technik zum Nachweis von Rückständen. Dresdner Wissenschaftler suchen nach Lösungen.

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© Sven Ellger

Von Kay Haufe

Wenn es im Rücken zieht oder das Knie zwickt, greifen viele zu einer Salbe mit dem Wirkstoff Diclofenac. Den Schmerz- und Entzündungshemmer gibt es auch als Tabletten oder Zäpfchen, die meisten davon sind nicht verschreibungspflichtig. Doch während der Wirkstoff Beschwerden schnell lindern soll, ist er problematisch für den Wasserkreislauf. Er wird im menschlichen Körper nicht vollständig abgebaut, sondern wieder ausgeschieden oder beim Duschen abgewaschen. Auch die drei Reinigungs-Klärstufen der Dresdner Stadtentwässerung (SEDD) können ihn nur zu maximal 80 Prozent herausfiltern. „In der Folge landet Diclofenac in der Elbe“, sagt Gunda Röstel, die kaufmännische Geschäftsführerin der SEDD. Wie der Stoff sich dort auf Fische und andere Lebewesen auswirkt, dazu gibt es gerade die ersten Untersuchungen, allerdings noch ohne Ergebnis.

Dabei ist dieser Wirkstoff nur einer von vielen, die in deutsche Fließgewässer gelangen. Auch ein Großteil der Antibiotika werden nicht abgebaut, sagt Peter Krebs, Wasserwirtschaftler an der TU Dresden. Gemeinsam mit Ärzten, Apothekern und weiteren Wissenschaftlern sucht er mit der Stadtentwässerung deshalb nach Ideen, wie man Arzneimittelrückstände in Gewässern minimieren kann. Immerhin werden in Deutschland jährlich 700 Tonnen Medikamente verordnet, dazu kommt die gleiche Menge in der Veterinärmedizin, sagt Röstel. „Wir sind vom Gesetzgeber nicht verpflichtet, in dieser Richtung tätig werden. Aber angesichts der immer älter werdenden Bevölkerung und eines steigenden Medikamentenkonsums halten wir es für sinnvoll, jetzt darüber zu reden“, sagt sie. Immerhin prognostiziert eine Studie den Anstieg des Medikamentenverbrauchs um 70 Prozent bis 2045. Ältere Menschen haben einen bis zu 20-fachen Verbrauch im Vergleich zu Jüngeren. „Die Kläranlagen können nicht der Reparaturbetrieb für alles sein“, sagt Röstel. Zumal es in Dresden gar nicht die sensible Technik gibt, um das Abwasser auf alle Stoffe zu untersuchen.

Auch an der Dresdner Uniklinik ist das Thema Abwasserbelastung bekannt. Bereits seit 2006 läuft ein Projekt für intelligenten Medikamentenkonsum. 18 Mitarbeiter der Krankenhausapotheke sind dafür auf den Stationen unterwegs und besprechen mit den Fachärzten und Patienten, welcher Wirkstoff sinnvoll ist, wie lange und in welcher Dosis er genommen werden soll. „Oft kann man so auf mindesten zwei, drei Arzneimittel verzichten“, sagt Holger Knoth, der Leiter der Krankenhausapotheke. Damit sinkt nicht nur der Medikamentenverbrauch, sondern die Klinik spart damit auch bis zu 15 Prozent ihrer Arzneimittelkosten.

Ein ähnliches Projekt initiierten die Landesärztekammern Sachsen und Thüringen mit der Krankenkasse AOK Plus. Darin bilden jeweils ein Arzt und ein Apotheker ein Team und koordinieren den Medikamenteneinsatz für den Patienten. „Normalerweise verdient der Apotheker an jedem verordneten Medikament. Das wird nun über eine Beratungsleistung kompensiert“, sagt Frank Bendas, Geschäftsführer der Sächsischen Landesapothekerkammer.

„Grundsätzlich liegt die Verantwortung bei jedem von uns“, sagt Michael Albrecht, der Medizinische Vorstand der Uniklinik. Am Anfang müsse stets die Frage stehen, ob wir bei jedem Wehwehchen gleich zum Arzneimittel greifen müssen. Was nicht ins Abwasser gelangt, müsse dort auch nicht mühsam herausgefiltert werden.

Auch der sorglose Umgang mit nicht mehr benötigten oder überlagerten Arzneimitteln sorgt für eine erhöhte Medikamentenbelastung im Abwasser. Jeder siebte Deutsche entsorgt seine Tabletten gelegentlich über die Toilette, in flüssiger Form sogar jeder zweite, wie eine Umfrage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ergab. Dies summiert sich auf eine Menge von mehreren hundert Tonnen Arzneimitteln pro Jahr im Abwasser.

Für die Pharmaindustrie spiele das Kriterium Abbaubarkeit des Wirkstoffes derzeit offiziell keine Rolle, sagt Klaus Kümmerer von der Leuphana Universität Lüneburg. Inoffiziell hänge es von der Unternehmensphilosophie ab. „Die ersten fangen an, über solche Aspekte nachzudenken.“ In der Europäischen Union ist man aufgewacht, es gibt eine Liste mit Stoffen, die als bedenklich eingestuft sind. Neben Medikamenten sind dies auch Dünge- und Pflanzenschutzmittel, Hormone und Mikroplastikteilchen.

Im Fall der Elbe gibt Röstel Entwarnung: Außer kranken, älteren Personen und Säuglingen könnten alle darin unbedenklich schwimmen. Nur literweise Wasser trinken ist nicht gut. Kommentar