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Altes Tagebuch verrät Harthas Geschichte

Ralf Naumann bekommt ein fast hundert Jahre altes Tagebuch geschenkt. Das erzählt nicht nur von einer Drogerie.

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© Andreas Weihs

Von Verena Schulenburg

Freital. Geahnt hatte er es irgendwie. Diese fast einhundert Jahre alten Seiten können nur etwas Besonderes sein. Jetzt offenbaren die zwei alten Tagebücher allmählich ihre Geheimnisse. Die beiden Schriftstücke, die Ralf Naumann in den Händen hält, erzählen im altdeutschen Sütterlin auf mehr als 800 Seiten, was sich in den 20er- und 30er-Jahren rund um Kurort Hartha ereignete – beziehungsweise um Bad Hartha, wie der Ort damals noch hieß. Wer weiß denn noch, wer der letzte Nachtwächter von Hartha war? Oder wem ist überhaupt bekannt, dass es viele Jahre auf dem Kurplatz eine angesehene Drogerie gab? Die Aufzeichnungen verraten mehr.

Der Zufall brachte Ralf Naumann zu diesem kleinen Schatz. Die Tagebücher gehörten einst Margarete Kempe, die später mit der Hochzeit von Rudolf Groß den Familiennamen wechselte. „Es war meine Patentante“, erzählt der 55-Jährige, der im Wilsdruffer Ortsteil Kleinopitz wohnt. Auf der Schulstraße hat der Hobbyhistoriker vor Jahren eine Heimatstube eingerichtet. Sein Interesse für die Geschichte der Region machte ihn auch neugierig, als er von den Tagebüchern erfuhr. „Meine Tante hatte eigentlich nie viel über ihre Vergangenheit erzählt, immer nur, dass sie aus Hartha kommt“, erinnert sich Ralf Naumann. Auch bis zu ihrem Tod 2009 wusste er nichts von besagten Tagebüchern seiner Patentante. Erst sein Patenonkel verriet einige Zeit später das alte Schriftstück. „Sie hatte auch Tagebücher“, habe Rudolf Groß bei einem Treffen beiläufig erzählt. „Da bin ich natürlich hellhörig geworden“, sagt Ralf Naumann. Die beiden Einbände lagen bis dato gut aufgeräumt im Schreibtisch der Paten. Nun sind sie bei Ralf Naumann in Kleinopitz.

Der 55-Jährige will genau wissen, was hinter den Eintragungen steckt und hat sich dazu quasi Übersetzungshilfe geholt. „Ich kann das Altdeutsch einfach nicht lesen“, gesteht Naumann. Eine Aufgabe, die ihm nun Roland Hanusch abnimmt. Der 77-jährige Freitaler ist nicht nur als Experte für Pflaumentoffel bekannt und geschichtsinteressiert. Hanusch war einst Lehrer für Naturwissenschaften und wurde auch daher noch mit den Schriftzügen des Sütterlins vertraut gemacht. „Mein Vater und Großvater haben auch noch so geschrieben“, erzählt er. Vor diesem Hintergrund falle es ihm nicht schwer, die Schrift zu entziffern, die bis etwa Ende der 30er-Jahre praktiziert wurde.

Nach und nach arbeitet sich nun Roland Hanusch durch die dicken Einbände. Mehr als die Hälfte der Tagebucheinträge hat der Freitaler bereits gelesen und in neudeutscher Schrift wiedergegeben. So „übersetzt“ hilft es nun Ralf Naumann, die Inhalte einzuordnen. Die Eintragungen stammen maßgeblich von Kurt Kempe, einem findigen Unternehmer in Hartha, der zunächst das Tagebuch für seine Tochter, Margarete Kempe, führte, solange, bis diese selbst schreiben konnte. Eingeklebte Fotos, Postkarten, Briefmarken und allerhand handschriftliche Notizen dokumentieren das Leben der Familie Kempe und des Mädchens, das am 1. Januar 1921 in Hintergersdorf geboren wurde. Heute gehört die Ortslage zum Tharandter Ortsteil Kurort Hartha.

In diesem Ort, genau dort, wo sich heute der Kurplatz befindet, stand einst das Geschäft von Kurt Kempe. Stimmen die Tagebuchaufzeichnungen, so führte der Unternehmer aus Kurort Hartha ab 1919 einen Laden im Ort. Der Name „Drogenhandlung“ stiftete damals keinerlei Verwirrung, sondern bot Drogerieartikel, Farben, Verbandsstoffe, Tabak, Schreibwaren, Romane, Zeitungen und Reiseandenken zum Verkauf an. „Das vielseitigste Geschäft, besonders für Kurgäste“, warb Kurt Kempe einst für seinen kleinen Laden. Der lief dank des agilen Unternehmers auch nicht schlecht. Alsbald wurde die Drogenhandlung zur Kur-Drogerie und kurz darauf an einem neuen Standort, etwas unterhalb des Kurplatzes, neu errichtet. Auch wenn sich das äußerliche Erscheinungsbild des kleinen Gebäudes über die Jahre veränderte, so blieb es als solches noch lange am Kurplatz erhalten. Erst vor etwa einem Jahr, so vermag sich Ralf Naumann zu erinnern, ist das Häuschen weggerissen worden. Das Grundstück ist in Privatbesitz. Dahinter steht nun ein Eigenheim.

Kurt Kempe war es wohl auch zu verdanken, dass Bad Hartha einst sogar seinen eigenen Stocknagel hatte. 1925 entwarf der Vater von Margarete Kempe das Emblem, ließ es herstellen und vertrieb es in seinem Laden am Kurplatz. Selbst die erste Postkarte des heute beliebten Wanderzieles im Tharandter Wald, dem Hexenhäusel, geht auf das Engagement von Kempe zurück. Die Einträge in den Tagebüchern verraten auch, dass Ernst Lehmann bis 1932 der letzte Nachtwächter in Hartha war. Außerdem steht darin beschrieben, wie 1928 erstmals im Ort ein beleuchteter Weihnachtsbaum für alle errichtet wurde, weil sich in der Zeit der Not nicht jeder einen hübsch geschmückten Christbaum leisten konnte.

Noch haben die Hobbyhistoriker nicht alle Geschichten aus Margaretes Tagebuch entziffert. Aber schon jetzt weiß Ralf Naumann um den kleinen Schatz, den er hat. „Toll wäre es, wenn ich die Aufzeichnungen irgendwann als Buch herausbringen kann“, sagt er.