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Abgang eines Ungeliebten

Bernd Lucke verliert den Streit um die AfD-Führung klar gegen Frauke Petry. Die muss jetzt das Auseinanderbrechen der Partei verhindern.

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© Reuters

Von Annette Binninger

Sein Abgang ist fast lautlos. Bernd Lucke steht plötzlich auf, zieht seine Verkabelung fürs Mikro heraus, kramt noch ein bisschen in Papieren und greift sich auch noch sein Frikadellen-Brötchen samt Serviette. Dann verlässt er das Parteitagspodium zur Seite weg. Geht einfach die Treppe hinunter in den Saal, ohne etwas zu sagen.

Wenige Sekunden zuvor ist Frauke Petry gerade zur Siegerin in der monatelangen Führungsschlacht erklärt worden. Klare 60 Prozent für Petry, die mageren 38,1 Prozent für Bernd Lucke hat man vergessen zu verkünden. Aber es ist nicht dieses Ergebnis, es ist erst dieser eine Satz, mit dem seine Dauerkonkurrentin den Wirtschaftsprofessor schier von der Bühne treibt. „Eine Art von Weckruf darf es künftig nicht mehr geben“, sagt Frauke Petry unter tosendem Beifall der rund 3 500 AfD-Mitglieder. Sie hätte genauso gut sagen können: Bernd Lucke darf es künftig in dieser Partei nicht mehr geben. Und so räumt der ewig Ungeliebte, die „Galionsfigur der Gründerzeit“, wie ihn Petry noch in ihrer Dankesrede hinterherlobt, schließlich seinen Platz.

„Ich bin jetzt nur noch einfaches Parteimitglied“, wehrt Bernd Lucke unten angekommen im Parteivolk gequält lächelnd Fragen nach einer möglichen Kandidatur für den zweiten Sprecherposten ab. Verbittert sei er nicht, aber enttäuscht, zugleich auch „wie von einer Last befreit“, erleichtert. „Ich habe jetzt Angst vor dem wachsenden Populismus in der AfD und den Problemen“, fügt er hinzu, noch immer mit dem Frikadellen-Brötchen in der Hand.

Sorgen um Zuwanderung

Bernd Lucke lässt sich alles offen. Europa-Abgeordneter will er bleiben. Aber auch AfD-Mitglied? „Darüber werde ich jetzt erst einmal ein paar Tage nachdenken“, sagt er, wieder mit diesem gequälten Pflichtlächeln. „Ich mache keine Schnellschüsse.“ Er sorge sich um die Anhänger seines Weckrufs. „Ich fürchte, es wird jetzt viele Austritte geben.“

Es ist das Bild des Tages: der einsame Mann am Vorstandstisch. Bernd Lucke sitzt allein auf dem Podium, ganz links, tippt versonnen in seinen Laptop, kaut einen Apfel oder schaut immer wieder nachdenklich in die Zuschauer-Runde. Hin und wieder sitzt Frauke Petry neben ihm, plaudert mit vielen von der Bühne herunter, lacht, scherzt. Sie sitzt dort mit deutlich mehr Distanz zu Lucke, als die Sitzordnung eigentlich vorgibt. Die beiden sprechen nicht miteinander, nicht mal ihre Blicke kreuzen sich. Lucke stützt seinen Kopf auf die Hand und scheint in dieser Geste zu erstarren. Es ist der Blick eines müde gewordenen Parteichefs, der gerade merkt, dass ihm seine eigene Partei völlig fremd geworden ist.

Schlag auf Schlag versetzt der Parteitag dem Professor. Wie nach einer gut geplanten Regie. Eine Zermürbungstaktik. Erst wird er mit Buhrufen und Pfeifkonzert empfangen, dann setzen die Parteimitglieder die von ihm gewünschte Wahl eines Generalsekretärs kurzerhand von der Tagesordnung. Nicht die Euro-Krise ist mehr das Hauptthema der AfD – Luckes Gründungsthema. Eine Blitzumfrage unter den Mitgliedern im Saal ergibt, dass den AfDlern vielmehr die „ungesteuerte Zuwanderung“ die meisten Sorgen bereitet.

Bernd Lucke verteidigt noch einmal seinen Weckruf, seinen Verein, mit dem er die Grenze gegenüber Kräften aus der rechten Ecke klarer ziehen wollte. Er sei doch „kein Zeichen der Ausgrenzung, sondern eine Einladung zum Gespräch gewesen“, sagt er trotzig. „Weckruf raus“, brüllt es ihm hundertfach aus dem Saal zu. Die rote Abstimmungskarte wird hochgehalten als „Rote Karte“ für Lucke. „Es war ein Versuch, eine Hand zu reichen, die offenbar nicht gewollt wird“, sagt Lucke. Man sieht ihm sein Erschrecken über die aggressive Stimmung an, die ihm aus der auf fast 30 Grad aufgeheizten Essener Grugahalle entgegenschlägt. „Höcke, Höcke“, skandieren die Thüringer den Namen ihres umstrittenen Landeschefs. „Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz haben bei uns keinen Platz“, sagt Lucke trotzig.

Es gebe kein Ost-West-Problem, und sie könne auch „keinen Rechtsruck“ bei der AfD erkennen, hält Frauke Petry dem Professor in ihrer Rede entgegen. Auch sie wird zunächst mit Buhrufen und Pfiffen abgestraft für die monatelang öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten im Bundesvorstand. Man solle doch besser die „Kampfbegriffe“ aus dem „Vokabular der Altparteien“ nicht benutzen. Damit tappe man doch nur in die „Falle des Establishments“. Petry versucht die Rolle der Einerin, der Ausgleicherin, der Offenen und Verständnisvollen einzunehmen.

Die Religion des Islam sei „mit dem deutschen Grundgesetz nicht vereinbar“, bedient sie antiislamische Tendenzen, die auch die Pegida-Bewegung seit Monaten in Sachsen bedient. Bei Pegida dürfe man sich „nicht mit allem einverstanden erklären, was diese Bürger wollen“, sagt sie – aber will genau diese Bürger für die AfD gewinnen. Dass man damit intern schon weiter ist, lässt Petrys enger politischer Weggefährte, NRW-Landeschef Marcus Pretzell erkennen. Die AfD sei „die Euro- und die Pegida-Partei“, sagt er. „Und noch viel mehr.“

Bernd Lucke hat zugehört, nachdenklich, den Kopf auf die Hand gestützt. „Bericht des Vorstands“, damit steht er am Nachmittag noch einmal auf der Tagesordnung. Es wird wie ein letztes Aufbäumen, eine Mahn- und Warnrede an die eigene Partei. Vermutlich hat Lucke da für sich schon entschieden zu gehen. „Wir dürfen uns nicht der Versuchung hingeben, billige Stimmung zu erzeugen“, warnt er die AfD, auf dem „schmalen Grat“ zu bleiben, die Grenze zu den „populistischen Rändern“ klar zu ziehen. Dass die AfD die „Pegida-Partei“ sei, „das haben wir nie beschlossen.“ Tobender Applaus im Saal.

Der Saal tobt – vor Zorn

Auch beim Umgang mit dem Islam hat Lucke Differenzierungsbedarf. In Deutschland lebten Millionen Menschen muslimischen Glaubens, viele mit deutscher Staatsbürgerschaft. „Wollen wir etwa einen Teil der Bevölkerung bewusst ausgrenzen?“, fragt er in die Menge, wirbt für Religionsfreiheit. Der Saal tobt, diesmal vor Zorn. Lucke wirbt für mehr Verständnis für Flüchtlinge, warnt vor einer zu simplen „harten Haltung“ bei Fragen der Zuwanderung. Mehrfach muss der Tagungsleiter eingreifen, um Fairness bitten, damit Lucke überhaupt weiterreden kann. Es klingt wie sein politisches Testament, das er da gerade hinterlegt. Dass es für ihn bei der Wahl nicht mehr reichen wird, ist bereits absehbar. Da ist die AfD schon längst nicht mehr seine Partei. Die Gruppe um Frauke Petry hat sich auf ganzer Linie durchgesetzt. „Wir brauchen einen einigen, arbeitsfähigen Vorstand“, sagt sie nach ihrem Wahltriumph. Einige Monate werde das dauern. Mit einem Strauß gelborangefarbener Rosen steht sie auf der Parteitagsbühne und lässt den frenetischen Applaus über sich ergehen. Ruhig, aber berührt, erschöpft, mit ein paar Tränen in den Augen. Einen Tag später hat sie ihren Wunschvorstand, ihre Leute, um sich geschart. Wirtschaftsprofessor Jörg Meuthen wird Vize, die Europa-Abgeordnete Beatrix von Storch, Alexander Gauland (Brandenburg) und Albrecht Glaser (Hessen) rücken auf.

Dass Petry jetzt das Auseinanderbrechen der Partei verhindern muss, weiß sie. Bei den Weckruf-Unterstützern deutet sie im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung Härte an. Ob Lucke jetzt eine neue Partei gründe, „das muss er selbst wissen“, sagt Petry. Wichtig sei jetzt nur, dass „der Rest der Partei zusammenhält und die wieder integriert, die zu integrieren“ sind. „Und diejenigen, die sich durch die Weckruf-Unterstützung gegen die Satzung verhalten, müssen entweder Ordnungsmaßnahmen fürchten oder sie gehen von alleine.“