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10 000 Bernstädter Bücher ziehen um

Für die Bibliothek auf dem Eigen geht es zwar nur ein Stockwerk tiefer. Ändern wird sich trotzdem so manches.

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© privat

Von Susanne Sodan

Benjamin Blümchen ist rausgeflogen. Aus der Bibliothek Bernstadt. „Die Kassetten waren ja auch schon über 20 Jahre alt“, sagt Bibliothekarin Karin Thau. Ein bisschen Wehmut schwingt da mit. „Funktioniert haben die noch, aber die Ära ist vorbei.“ Das gilt nicht nur für die Kassetten, sondern für die ganze Bibliothek. Sie zieht um. Deshalb musste Benjamin Blümchen seinen Platz räumen.

Weit wird der Weg des Kartonschleppens nicht sein. Die Bernstädter Bibliothek zieht von der ersten Etage der ehemaligen Schule – heute Heimatmuseum – ins Erdgeschoss. Trotzdem ist der Umzug etwas Besonderes, findet Gunter Lange, Bernstadts Ortschronist und ehemaliger Bürgermeister. Weil die Bücherei über Jahrzehnte zu einem Unikat geworden ist. Das ganze Haus ist historisch – und auch die Bibliothek zeigt ein Stück Geschichte: „Das Mobiliar stammt aus tiefsten DDR-Zeiten“, erzählt Lange. Ein einziges Mal ist Bernstadts Bücherei bisher umgezogen, vom Rathaus an ihren jetzigen Standort. 1977 war das. Und aus dem Jahr stammt auch ein Großteil der Einrichtung.

Kommt man zur Tür herein, steht linkerhand der Schreibtisch von Karin Thau. Ein Modell mit viereckigen Metallbeinen, Pressspan und Furnier in Holzoptik. Ein paar Schrammen hat er sich eingefangen im laufe der 40 Jahre. In der Mitte reihen sich die Bücherregale aneinander. Vielleicht hatten sie immer schon ihren gelb-braunen Farbton, vielleicht hat aber auch das Licht das Holz über Jahrzehnte nachdunkeln lassen. „Die Lampen haben wir mal erneuern lassen“, sagt Gunter Lange. Die Nutzer der Bibliothek scheint das Alter der Einrichtung jedenfalls nicht zu stören. Im Schnitt kommen pro Woche 50 Leser, um Bücher zurückzubringen und neue auszuleihen. Insgesamt hat die Bibliothek über 500 Nutzer. Genau lässt sich das nicht sagen, erklärt Karin Thau. Denn neben den Lesern, die regelmäßig kommen, gibt es auch „Karteileichen“. Junge Leser, die nach der Schulzeit weggezogen sind, Erwachsene, die durch die Arbeit keine Zeit mehr finden, regelmäßig zu lesen. „Ich schätze, wir haben etwa 300 aktive Leser“, sagt Karin Thau. Viele kennt sie mit Namen.

Die Regale mögen 40 Jahre alt sein, der Inhalt ist es nicht. Ein paar Bücher gibt es, die noch älter sind als das Mobiliar. Das Deutsch-russische Wörterbuch zum Beispiel. Gedichte von Berthold Brecht. Und Schillers Werke I bis IV. Auf dem Schreibtisch aber liegen die aktuellen Romane von Arnaldur Indriðason, Åke Edwardson und Jussi Adler-Olsen und Val Mc Dermid. Ganz schön viele Krimis. „Wenn die jemand abgibt, lasse ich sie erst mal auf dem Schreibtisch liegen“, erzählt Karin Tau. „Sehr oft sind die schnell wieder ausgeliehen.“ Kriminalromane und Thriller stehen in der Bernstädter Beliebtheitsskala ganz oben, auch historische Romane. „Bei der Belletristik sind wir immer auf dem neuesten Stand“, sagt Karin Thau. Das hat auch mit ihrem Einsatz zu tun.

Eigentlich kommt Karin Thau beruflich aus einer ganz anderen Richtung, aus der Gastronomie. Köchin hatte sie gelernt und über viele Jahre in Restaurants in der Gegend gearbeitet. 1999 kam sie über eine ABM-Maßnahme zur Bernstädter Bibliothek. Ordnung, Organisationstalent – das braucht man in beiden Berufen. Inzwischen arbeitet Karin Thau festangestellt in der Bibliothek. Jede Woche, meistens freitags, fährt sie nach Zittau zur Christian-Weise-Bibliothek, die Kreisbibliothek. Dort kennt man sie. Karin Thau ist diejenige, die jede Woche die Neuerscheinungen durchstöbert und die Bücher ausleiht, von denen sie glaubt, dass die den Bernstädter Lesern gefallen könnten. Und sie holt jede Woche die Wunsch-Bestellungen der Bernstädter ab. „Diese Möglichkeit wissen die Leser sehr zu schätzen“, sagt Karin Thau. So ist es allgemein: Kleinere Gemeinde- und Stadtbibliotheken können sich in der Zittauer Kreisbibliothek Bücher ausleihen. Die Leihfrist ist in der Regel ein halbes Jahr und kann verlängert werden.

Dabei gibt es für die für Bernstädter Bibliotheksnutzer derzeit eigentlich gar keine Möglichkeit, an neuen geliehenen Lesestoff ranzukommen. Das gesamte Gebäude wird von Kopf bis Fuß saniert, die Bibliothek ist geschlossen. Eigentlich. Aber im Stich lassen kann die Bibliothekarin ihre Kundschaft eben auch nicht. Wer unter akutem Lesestoff-Mangel leidet, der kann auf gut Glück hingehen, sagt Bernstadts Bürgermeister Markus Weise. Dienstagnachmittag ist eine gute Zeit.

Wann genau die Bibliothek umziehen wird, ist noch nicht klar. Die Sanierungsarbeiten laufen, allerdings braucht der neue Estrich der Böden im Erdgeschoss – also auch im zukünftigen Bibliotheksraum – noch Zeit zum Trocknen. Das feuchte und kühle Wetter sorgt dafür, dass die Fußbodenleger noch nicht an die Arbeit gehen können. Die Malerarbeiten werden aber in den nächsten Tagen beginnen, erzählt Markus Weise. Und noch ein Punkt muss geklärt werden: Ob neben den rund 10 000 Büchern auch die 40 Jahre alten Regale mit nach unten ziehen werden oder nicht. Die Stadt habe einen Fördermittelantrag für eine neue Bibliothekseinrichtung gestellt, erklärt Weise. Wird er nicht bewilligt, „dann müssen wir nach und nach versuchen, das Mobiliar auszutauschen.“ Aber wenn er bewilligt wird, fliegen die alten Bretter raus. Genau wie Benjamin Blümchen.